Archiv für März 2020

Journal Dienstag, 24. März 2020 – Blödes Timing 2

Mittwoch, 25. März 2020

Gut geschlafen, auch ohne Schmerzmittel
Nach Rumpfübungen und Dehnen stieg ich auf den Crosstrainer statt Yoga zu treiben: Da ich derzeit ja nicht nur durch Hüftweh, sondern zusätzlich durch Ausgangsbeschränkung weniger Alltagsbewegung bekommen, plane ich ab sofort im Wechsel morgens Yoga oder Crosstrainer. Wäre ich wer anders, würde ich morgens Crosstrainern und nach der Arbeit die Yoga-Einheit einlegen, aber das schaffe ich halt nicht.

Draußen immer noch sehr kalt, weiterhin gefrorene Pfützen, aber auch weiterhin Sonne. Mir kamen Straßen und Plätze leerer vor als am Montag.

Angsttermin um die Mittagszeit, ich verschob mein Essen mangels Appetit auf danach. (Man erzählt ja, dass man mich als kleines Kind mit Essen ruhig stellen konnte. Ich muss meine Eltern mal fragen, ob das auch bei Angst so war, und wenn ja überlegen, wann und wodurch das wegging.) Der Angsttermin verschob sich auf Nachmittag und war noch schlimmer als befürchtet. Neben meiner zu ersetzenden Hüfte ein weiteres saudummes Timing, gerade jetzt in diese Situation zu geraten.

Zum verschobenen Mittagessen eine gigantische frische Paprikaschote, außerdem den Großteil einer Tupperdose Polentareste vom Vorabend. Den Rest des Restes aß ich als Nachmittagssnack.

Sie haben sicher schon mal den Hinweis gelesen: Deine Eltern haben dir einst geduldig das Gehen, Radfahren und Tischmanieren beigebracht – sei du nicht ungeduldig, wenn du ihnen bei Technik hilfst. Sagen wir mal so: Gestern hatte ich mit Leuten zu tun, die mir weder das Gehen noch Radfahren oder Tischmanieren beigebracht haben.

Nach der Arbeit fuhr ich direkt heim und ließ mich jammernd in die Arme von Herrn Kaltmamsell fallen, der Pink Gin & Tonic anreichte. Zum Nachtmahl Brotzeit mit selbstgebackenem Brot aus der Gefriere, Käse und Schinken. Nachtisch Osterschokolade, die im Kaufhaus tatsächlich bereits jetzt zum halben Preis verscheuert wird.

Albert Uderzo ist gestorben, jetzt sind die beiden Väter von Asterix und Obelix tot, die mir den Einstieg ins Comiclesen ermöglicht haben (weil meine kulturstrenge Mutter sie in meinen Kinderhänden akzeptierte). Dass die Tagesschau ihm einen langen Nachruf einräumte, trotz der momentanen vielen anderen drängen Themen, würdigt ihn mehr als vieles andere. (Und das, wo gestern durch die Verschiebung der Olympischen Spiele auf nächstes Jahr sogar der derzeit abwesende Sport einen Slot einnahm.)

Journal Montag, 23. März 2020 – Suche nach Alltagsrhythmus unter Pandemiebedingungen

Dienstag, 24. März 2020

Nach gutem Schlaf nahezu frisch aufgewacht. Die Yoga-Einheit empfand ich als besonders wohltuend.

Mit dem Rad in die Arbeit. Es war sonnig und fast beißend kalt, alle Pfützen auf der Theresienwiese gefroren. Der Platz und die Straßen wenig belebt, aber ich empfand die Stimmung eher als Sommerferien denn Apokalypse.

Arbeiten unter den veränderten Bedingungen lief gut, ich war deutlich emsiger als erwartet. Als mich heftigen Hunger biss, sah ich irritiert auf die Uhr: Kein Wunder, es war unbemerkt bereits deutlich Mittagspause durch – das war mir schon sehr lange nicht mehr passiert. Mochte daran liegen, dass mein Zeitgefühl nicht durch Mittagessengrüppchen Richtung Kantine justiert worden war. Ich aß eine nackte Semmel vom Vortag, Apfel, Mango, Mandarine.

Wahlhilfe Teil II: Nächsten Sonntag wird das Münchner Oberbürgermeisteramt durch Stichwahl besetzt. Wege der aktuellen Pandemie gibt es nur Briefwahl, keine Wahllokale, und irgendwie hat das dazu geführt, dass die Wahlhelfenden der Kommunalwahl nicht automatisch wieder eingeteilt wurden, sondern sich online neu anmelden mussten. Hätte ich gemacht, doch ich bekam nur Fehlermeldungen. Als ich es über einen anderen Zugang versuchte, hatten sich bereits genügend Freiwillige gemeldet – an sich ja wunderbar.

Nachmittags Hüttenkäse. Eher früh Feierabend gemacht, durch zapfige Kälte nach Hause geradelt.

Bei meiner Heimkehr war noch eine Weile hin zum Abendessen, zur Überbrückung machte ich uns Sahnecocktails (Green Monkey) und aß eine von zwei Wild-Kaminwurzn, die Herr Kaltmamsell beim Einkaufen auf dem Viktualienmarkt geschenkt bekommen hatte.

Mein Friseur, bei dem ich am Dienstag eigentlich Termin hätte und den es bereits ziemlich braucht, meldete sich: Zu meiner Freude fanden wir einen Weg, dass ich ihm Ausfallhonorar überweisen kann.

Herr Kaltmamsell fragte mich, ob die vier Zehen Knoblauch in Ordnung seien, die das Rezept fürs Abendbrotgericht vorsah. Ich hatte keine Einwände: Wer sie Tags drauf im Büro riecht, hält nicht genug Abstand!

Herby Polenta With Corn, Eggs and Feta – mit halb so vielen Eiern. Schmeckte sehr ungewöhnlich, aber auch sehr gut, frische Maiskörner in Polenta sind allein von der Textur eine großartige Sache. Ich habe schon großes Glück, dass Herr Kaltmamsell Abend für Abend solche Umstände auf sich nimmt – für die er ja auch auswändig einkaufen muss.

Journal Sonntag, 22. März 2020 – Kalte Sonne, KaffeundKuchen über Google Hangout

Montag, 23. März 2020

Unvermutet zu Schnee aufgewacht.

Der hielt sich auch als im Lauf des Vormittags die Sonne herauskam.

Zum Abschluss der Bewegungseinheit hatte ich mir eine Runde Crosstrainer vorgenommen. Doch ich hatte keine Lust und war während der Yoga-Übung (eher geruhsam) am Hadern, ob ich den Vorsatz bleiben lassen sollte. Ich entschied mich letztendlich für die Bewegung, weil das Hüftleiden ja meine Alltagsbewegung verminderte, ein wenig Kardio aber der Durchblutung guttat, ich außerdem den Rest des Körpers nicht unter der partiellen Beeinträchtigung leiden lassen will. Und siehe da: Es dauerte keine zehn Minuten sanftes Strampeln, bevor es mich heiter und sonnig machte; ich musste mich schon wieder zusammennehmen, die angepeilte Dauer von 20 Minuten nur um 5 Minuten zu überziehen. Es ist schon ein riesiges Dussel, dass mich Sport so freut.

Außerdem mittel- und langfristig: Ich halte mich wirklich für nicht besonders kompetitiv, aber der Titel Best-trainierte-Hüftpatientin des Klinikums vor OP wäre schon recht.

Nach Duschen und Anziehen holte ich Frühstück und Nachmittagskuchen, machte einen kleinen Umweg über den Südfriedhof, den ich meiner Humpelei gerade noch zutraute. (Ich werde YouTube-Videos zu Krückenhandhabung recherchieren müssen. In der guten alten Zeit ohne moderne Medizin wäre ich “lahm” und würde für den Rest meines Lebens am Stock gehen.)

Der Nußbaumpark lag sehr idyllisch – zwar seltsam ohne Kinder auf dem Spielplatz, aber nun waren die drei bis vier Dutzend Wohnungsflüchtlinge weg, die den Park sonst lautstark belagern – saufend, dealend, rüpelnd. Nein, das sind keine Obdachlose (allerdings sicher aus dem System gefallene, die Stadt hat vergeblich eine ganze Reihe von Projekten durchgeführt, um das Problem an der Wurzel zu packen), und sie haben selbstverständlich dasselbe Recht dort zu sein wie ich. Doch in den vergangenen Jahren sorgten sie dafür, dass sich niemand sonst mehr auf den Bänken und in den schönen Anlagen aufhalten will. 2018 und 2019 gab es als Gegenmaßnahme in den Sommermonaten “Make Nussbaumpark gschmeidig again”, einen temporären Biergarten mit Programm. Jetzt waren sie auch so weg.

Wieder zog das Licht genau zu diesem Zeitpunkt meine Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Grab. Zudem Bärlauchgeruch (und eine -pflückerin), in schattigen Bereichen Schneereste, zwei Eichhörnchen.

Straßen und Südfriedhof sonntagsruhig, die Temperatur knackig kalt. Für den Abstand zu den wenigen anderen Passanten musste aber immer ich sorgen, niemand wich aus.

Handsemmeln und zwei Schwarzwälder-Kirsch-Schnitten beim Wimmer.

Daheim Früchstück mit Semmeln und Obst (Mango, Granatapfel), kleine Siesta.

Für KaffeeundKuchen war ich per Google Handout mit sieben Frauen aus dem Internet verabredet. Wir schwatzten zwei Stunden lang, aßen und tranken, ich freute mich ungemein, die Gesichter lieber Menschen zu sehen. (Und ich lernte Einiges für berufliche Konferenzschaltungen.)

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell aus Ernteanteil-Kohlrabi ein Kokos-Curry, dazu Pfannenbrot mit Kartoffelfüllung.

Verrückte Zeiten, in denen ein schlimmes Erdbeben in Zagreb nicht die Aufmachermeldung der Tagesschau wird.

§

Intensivmediziner Marc Hanefeld erklärt so etwas scheinbar Banales wie Beatmung an einem konkreten Fall:
“Beatmung – ein Beispiel”.

Als erstes hatte ich Flashbacks in die Fernsehserie Emergency Room, in der es immer hektisch wurde, wenn beatmet werden musste.
Die Erklärung verdeutlichte mir, wie viel Fachwissen zur Medizin gehört und warum es nur schief gehen kann, wenn Lieschen Kovalcik sich anmaßt, dabei mitdenken zu können oder “alternativmedizinische” Ratschläge zu verteilen.

(Natürlich bei mir nur Verstärkung einer ohnehin vorhandenen Grundeinstellung, Lieschen Kovalcik wird sicher eine Argumentation finden, warum ihre Meinung gegen diese böse “Apparatemedizin” dennoch relevant ist.)

§

Andere Corona-Alltagsrealitäten bei Croco in der rheinland-pfälzischen Provinz.
“Corona acht”.
Inklusive “Trotz alledem”.

Journal Samstag, 21. März 2020 – Neue Putzroutine und Voldemorting

Sonntag, 22. März 2020

Da wir sehr früh ins Bett gegangen waren (natürliche Scham hindert mich an einer präzisen Angabe), dauerte Ausschlafen lediglich bis halb sieben – hey, eine Stunde später als an Arbeitstagen! Das Wetter draußen war wie angekündigt regnerisch und kalt. Ich plante um von Gymnastik-Dehnen-Yoga, dann Putzrunde – zu Putzen am Anfang, weil ich merkte, dass ich mich sonst nicht ins Yoga würde fallen lassen können.

Also Hausputz mit Herrn Kaltmamsell, alles außer Bodenwischen (das ist ohne Kinder und Haustiere doch sicher nur alle vier Wochen nötig?). Absurderweise erwischte mich das world out of joint-Gefühl ausgerechnet hier: Als ich das Wohnungsputzen dauerhaft durchdachte und -plante, weil völlig unabsehbar ist, wann unsere Putzmänner wieder kommen können.

Dabei laut meine Playlist “Halligalli” gehört. Jetzt kennen also auch die Nachbarn meinen Musikgeschmack – sonst höre ich, wenn überhaupt, fast nur über Kopfhörer Musik.

Bewegungsrunde mit ausführlicherer Kräftigung, weil ich ja Zeit hatte. Yoga machte im frisch selbst geputzten Wohnzimmer gleich noch mehr Spaß.

Der Ernteanteil hatte den ersten Spinat enthalten: Den feierten wir mit Verarbeitung zu Eggs florentine mit Crumpets.

Ich hatte den Wasserfilter ausgewechselt, das bedeutete nahezu entkalktes Wasser für edlen Tee: Ich machte uns eine Kanne Lapsang Souchong.

Die Wochenend-SZ war schneller durch als sonst: Wo nichts stattfindet, kann man auch nichts berichten. Und Metaartikel über dieses Phänomen oder feuilletonistische Spekulationen über die Folgen der Pandemie für Gesellschaft und Wirtschaft wollte ich nicht lesen.

Dass die Woche dann doch ganz schön voll war, merke ich daran, dass sich die ungelesenen Texte in den mir wichtigsten Blogs (also meine Favoritenliste im RSS-Reader) stauten: Ich las fast eine Woche hinterher.

Fürs Abendessen wollten wir die örtliche Gastronomie unterstützen und uns etwas in einem Restaurant holen. Nur dass praktisch keines der vielen Lokale in unserer Nähe eine aktuelle Meldung auf der Website hatte, sei sie “wir sind völlig geschlossen” oder “bei uns kann man Essen bestellen und abholen”. Es wurde dann die Cordobar, die eine umfangreiche Liefer- und Abholkarte hatte. Telefonisch bestellte ich Tapas für zwei und machte mich auf den Weg. Das bot mir Gelegenheit wahrzunehmen, dass Gehen mich weiterhin sehr anstrengte und dass das regnerische Draußen ausgesprochen unattraktiv war.

Auf dem Heimweg sah ich, dass in der Hans-Sachs-Straße auch das indische Lokal Palast der Winde Mitnehmspeisen anbietet, ebenso das Heimwerk an der Müllerstraße.

Zu einem galicischen Weißwein gab es also gemischte Tapas und Nachrichten, dass die Infektionskurve in Deutschland weiterhin exponenziell ansteigt. Ich hoffe, wir haben alle genug Geduld, die Eindämmungsmaßnahmen durchzuhalten, denn ein möglicher Effekt wird sich laut Experten erst nach zehn Tagen zeigen.

§

Im Techniktagebuch-Chat tauchte der Begriff “Voldemorting” auf, und ich wusste sofort, was er bezeichnet. In meinen letzten Jahren bei MAN wurde der Name des Aufsichtsratsvorsitzenden fast nie ausgesprochen, er wurde durch seinen Wohnort ersetzt: “Und dann müssen wir es noch nach Salzburg schicken.” “Herr XXYY muss sich wohl einen neuen Job suchen, er musste gestern nach Salzburg.”

Davor kannte ich das Phänomen beim damaligen Verleger des Donaukurier, bei dem ich volontiert und gearbeitet habe. Auch hier nahm man den Wohnort, um seinen Namen nicht aussprechen zu müssen: Was “der Aloisiweg” wollte, war Gesetz. (Allerdings gab es als Alternative “der Alte”.)

Im Chat tauchte “Voldemorting” auf, weil viele nicht “Corona” sagen oder schreiben. Zum Beispiel die Orthopädiepraxis, in der ich am Donnerstag war und die auf einem Schild um Sicherheitsabstand zur Empfangstheke “wegen der derzeitigen Situation” bat.

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Positive Nebenwirkung “der Situation”: All die neuen Online-Angebote von Museen und Theatern veschaffen Behinderten einen Zugang, von dem sie schon immer träumten, zum Beispiel dem Rollifräulein.

Journal Freitag, 20. März 2020 – Weitere Ausgangsbeschränkung und Hoffnung auf schlechtes Wetter als Rettung

Samstag, 21. März 2020

Guter Schlaf mit nur der einen üblichen Klo-Unterbrechung – so schön! Der Wecker klingelte mich in die komplette Orientierungslosigkeit, ich freute mich sehr aufs Ausschlafen am Wochenende.

Gestern Morgen wieder Rumpfübugen, Dehnen, Yoga – bei Letzterem überschätzte ich die Besserung der wehen Hüfte in einem Ausfallschritt und jaulte so laut auf (Tonfall Hund, dem auf Schwanz getreten wurde), dass Herr Kaltmamsell besorgt herbeieilte.

Radfahrt in die Arbeit durch Frühlingstemperaturen und -düfte, um die Theresienwiese auffallend viele Jogger und Joggerinnen, gerne auch in Kinderbegleitung.

Angebot eines Paars ausgemusterter Unterarm-Gehilfen, das ich gerne und dankbar annahm für die Zeit, in der die Wirkung der Kortisonspritze nachlässt und ich sie brauchen könnte.

Spannung vor der Pressekonferenz des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (der seit Wochen positiv überrascht): Wie ich erwartet hatte, wurde das öffentliche Leben weiter runtergefahren, es gibt eine vorläufige Ausgangsbeschränkung. (Ich verlinke die offizielle Meldung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, damit jeder/jede selbst im Original nachschauen kann – zur Verminderung von Spekulationen.) Jetzt setzte ich große Hoffnungen auf das angekündigte schlechte Wetter mit Kälte in den kommenden Tagen – was vielleicht auch endlich die daheim hält, die ich gestern in Parks und auf der Theresienwiese in Gruppen spielen sah (mindestens zwei Gruppen davon Cricket – eigentlich ja sehr charmant).

Im Büro wachsende Leere, auch ich wurde für mögliches Home-Office ausgestattet. Aber noch gelte ich als Notbesetzung: Bevor die Ausgangssperre nicht streng wird, gehe ich täglich in mein Büro. Da sich immer mehr erweist, dass menschlicher Kontakt der Corona-Übertragungsweg Nr. 1 ist, sollte ich dort mangels menschlichem Umgang von der Seuchenverbreitung ausgenommen sein (Gespräche mit den wenigen Kolleginnen und Kollegen vor Ort funktionierten gut mit zwei Meter Abstand). Mittags Hüttenkäse und Quark mit Orange.

Friseurtermin nächste Woche per SMS abgesagt – verbunden mit der dringenden Bitte, den Preis als Ausfallhonorar bezahlen zu dürfen. Ich hoffe, es findet sich ein Weg.

Telefonat mit meiner Mutter, bei meinen Eltern alles in Ordnung. Wir beschlossen, nach Ende der Pandemie zu dritt zum medizinischen Ersatzteiltausch einzuchecken: zweimal Hüfte, einmal Knie. (Es gibt doch wohl Familienzimmer im Klinikum Garmisch?)

Feierabend wegen einiger Querschläger nicht so früh wie geplant. Nachdem ich erfahren hatte, dass in meinem Lieblingssüpermarket Verdi in den Tagen zuvor sehr viel los war, ging ich dort nicht Einkaufen, sondern fuhr direkt heim.

Herr Kaltmamsell wies mich darauf hin, dass die Kastanien vorm Balkon bereits Pfötchen geben: Das ist eine Überraschung, den die Knospen waren noch gar nicht so groß.

(Bild: Herr Kaltmamsell)

Herr Kaltmamsell bereitete ein “Drei-Untersetzer-Nachtmahl”:

Entrecôte, Rahmpilze mit Kerbel (Ernteanteil), Perldinkel (Ernteanteil). Ich servierte dazu Riesling Winzersekt.

§

Nochmal zurück in ein Gericht, bitte nicht über all der Corona-Sorge die anderen wichtigen Dinge vergessen. Zum Beispiel das erste wegweisende Urteil im Cum-Ex-Prozess, gut erklärt in der Zeit:
“Triumph der Justiz”.

Damit ist ein jahrelanger Grundsatzstreit um die Frage entschieden, ob Cum-Ex nicht nur aus moralischer, sondern auch aus juristischer Sicht zu verurteilen ist. Bei den komplizierten Aktiengeschäften entstand dem Staat ein Schaden von mehreren Milliarden Euro. Die Steuerräuber und ihre Anwälte aber vertraten die Auffassung, die Beteiligten seien bloß durch eine Gesetzeslücke geschlüpft, die der Staat zu schließen über Jahre versäumt hatte. Klar, das sei schon ausgebufft gewesen – und doof für die Allgemeinheit. Aber durch eine Gesetzeslücke zu schlüpfen, sei eben keine Straftat.

(…)

Am Ende aber hat sich die Justiz nicht im Klein-Klein verheddert, sondern die Komplexität reduziert und auf ihren Kern gebracht: Wenn man eine Steuer nur einmal bezahlt, aber mehrfach zurückfordert, war das schon immer verboten und ist deshalb strafbar.

§

Aufheiterung!

Hier ein Twitter-Thread mit ganz vielen Aufnahmen von niedlichen Füchsen.

Frau Mutti begleitet ihre Asylenten durch den Tag.

Journal Donnerstag, 19. März 2020 – Magnolie, Cortison, Amtsgericht

Freitag, 20. März 2020

Ganz böse Nacht, das so angenehme und schmerzfreie Vollbad am Vorabend hatte keine Dauerwirkung. Nach einer Schmerztablette konnte ich wenigstens ein paar Stunden am Stück schlafen, bis der tobende Ball um die rechte Hüfte mich wieder weckte.

Rumpfübungen und Yoga gingen und taten gut.

Auf dem Weg in die Arbeit eine erschütternde Entdeckung:

Sie haben meine Referenzmagnolie bis zur Unkenntlichkeit beschnitten.

Sonne über der Theresienwiese.

Das ist der Drive-through Corona-Test (nur mit Termin über die Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns KVB).

Kurz im Büro Dinge erledigt, dann zum ersehnten Orthopäden-Termin. (Ausdruck außen an der Praxistür mit Handelungsanweisungen “wegen der derzeitigen Situation”: pünktlich kommen, drinnen sofort Hände desinfizieren, Abstand zur Empfangstheke. Was ich selbstverständlich alles einhielt.) Dr. Orth2 (mit Mundschutz) und ich waren uns einig, dass bei den derzeitigen Schmerzen schwer herauszufinden ist, wie stark eine gereizte LWS-Nervwurzel an dem Ganzen beteiligt ist. Zumindest beruhigte mich Dr. Orth2, dass die starken Knieschmerzen, die ich oft beim Gehen und in der Nacht habe, sehr wahrscheinlich eine Folge der Hüftarthrose/-entzündung sind – und nicht etwa eine zusätzliche Baustelle.

Da es derzeit keine planbaren Operationen gibt, also auch eine Hüft-Op nicht terminiert wird, konzentrieren wir uns auf Schmerzlinderung. Ich bekam wieder eine Spritze ins Hüftgelenk (Ultraschall zeigte weiterhin deutlich die Arthrose samt Entzündung), wie sie mir im Januar fünf Wochen Nachtschlaf verschafft hatte, zudem ein Rezept für Novalgin (falls benötigt). Und Dr. Orht2 empfahl eine Gehhilfe (Unterarm-Krücke/Nordic Walking-Stecken), um zu verhindern, dass ich stolpere und falle. Wenn Sie mich gehen sähen, wüssten Sie, wie er drauf kommt. Aber so weit bin ich noch nicht.

Die Spritze wirkte innerhalb weniger Stunden. (Ich liebe echte Medizin! Selbstverständlich weiß ich, dass Cortison Nebenwirkungen hat – aber im Moment würde ich auch in Kauf nehmen, dass mir als Nebenwirkung Hörner auf dem Kopf wachsen.)

Zu Mittag Borscht vom Vorabend – bei Zimmertemperatur: Geschlossene Kantine und Lokale im Umkreis bedeuteten, dass die eine Mikrowelle im Gebäudeteil selbst bei wenigen Mitarbeitenden überlastet war.

Kurz darauf stieg ich aufs Rad und fuhr zum Amtsgericht. Vor dem Zugang zum Gebäude eine Corona-Station in einem Zelt. Polizisten und Polizistinnen baten um das Ausfüllen eines Formulars, das Personalien, Erkältungssymptome und Kontakt mit Symptom-Zeigenden abfragte. Es wurde gescherzt.

Im Sitzungssaal lernte ich einen weiteren Richter kennen, eine weitere Staatsanwältin. Verhandelt wurde ein räuberischer Diebstahl – und das deutlich länger, als ich veranschlagt hatte: Erst nach dreieinhalb Stunden stand ich wieder draußen. Wieder lernte ich ein Leben völlig außerhalb meiner sonstigen Wahrnehmungswelt kennen, hörte interessiert einem ausführlichen psychiatrischen Gutachter zu, machte Bekanntschaft mit den schönen Begriffen “nicht stoffgebundenes Suchtverhalten” und “Belastungseifer” (“Ich-Syntonie” schrieb ich lautmalerisch mit und schlug es erst daheim nach – ein hochspannendes Phänomen). Wir hielten alle deutlichen Abstand zueinander, selbst das Richterzimmer war absichtlich groß gewählt, damit wir beiden Schöffinnen und der Richter einander beim Beraten nicht nahe kommen mussten.

Anschließend radelte ich nochmal ins Büro, wo noch einiges zu erledigen war. Auf dieser wie auch auf der Heimfahrt dämmerte mir, dass eine Ausgangssperre immer wahrscheinlicher wird: Die Leute sind einfach blöd. Sitzen in Gruppen auf Parkbänken oder vor geschlossenen Cafés, laufen in Gruppen durch die Gegend, wahren einfach nicht den Abstand, der für eine Verlangsamen der Virusausbreitung essenziell ist. Ich fürchte, das wird nicht ohne Zwang abgehen.

In der Arbeit Erledigungen, außerdem den Nachtmittagssnack nachgeholt: Grapefruit und Orange. Im allerletzten Tageslicht heimgeradelt – beide Pedale fast gleich stark tretend.

Herr Kaltmamsell servierte Nudeln mit zwei verschiedenen Soßen: Butter und frischer Salbei, Tomate mit Kerbel und Zitronenschale. Beides sehr, sehr gut. (Ich habe enormes Glück, dass gutes Essen meine Stimmung so positiv verbessern kann.)

Journal Mittwoch, 18. März 2020 – Frühlingssonne, als wenn nichts wäre

Donnerstag, 19. März 2020

Wieder eine Nacht auf der eher bösen Seite. Trotzdem am Morgen Yoga genossen.

Auf dem Radweg in Arbeit (Sonne! Frühling!) sah ich auf der Theresienwiese wie am Dienstag schon dreifach abgehängte Bauzäune um Zelte. Spätere Recherche ergab: eine Drive-in-Corona-Teststation. Weitere Pandemie-Folgen: Keine Bodenmarkierungen für den Theresienwiesen-Flohmarkt; die Tandler scheinen nicht anzunehmen, dass er stattfindet. (Die ersten beiden Markierungen hatte ich allerdings bereits gleich nach Fasching gesehen.)

Die Bäckerei, in der ich meinen Laugenzopf für die Brotzeit kaufte, bat auf einem Schild um Bezahlung mit Karte, auch bei kleinen Beträgen. Ich ließ mein abgezähltes Kleingeld also stecken und erfüllte die Bitte.

Aufregender Arbeitstag, an dem sich unter anderem erwies, wie die Technik mit den Corona-bedingten neuen Arbeitsumständen zurecht kam.

Anruf vom Amtsgericht: Man bat mich, am Donnerstagnachmittag als Schöffin einzuspringen. Ist ok, die Richterbank ist breit genug für Abstand, bei meinen bisherigen Einsätzen waren die Zuschauerbänke leer.

Viele Schmerzen den Tag über, im Stehen, im Sitzen, im Gehen, wenn auch jeweils leicht verschiedene. Zu Feierabend fühlte ich mich zermürbt.

Auf dem Heimweg (Abendrot! Wärme! blühende Büsche!) Abstecher in den Supermarkt für Milchprodukte, Obst, Süßigkeiten (bei Letzterem nicht die geringsten Regallücken, ich wundere mich schon sehr über den Hamsterfokus der Leute).

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Borscht aus Ernteanteil-Bete, -Kraut, -Karotte, -Pastinake und ein wenig Rindfleisch.

§

Gabelstaplerfahrer grüßen aus einem niederländischen Klopapierlager:

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https://youtu.be/wA4KS546rZo