Wandern

Journal Dienstag, 23. September 2025 – South Downs Way 3: FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! von South Harting nach Amberley

Mittwoch, 24. September 2025

Es waren dann doch nur 33,7 Kilometer, und ohne die zusätzliche halbe Stunde Fußweg von der Wanderstrecke zur Unterkunft wären es wahrscheinlich sogar nur 32 gewesen.

Wieder vor Wecker und nach guten Schlaf aufgewacht.

Zwar hatte ich wie immer keinen Frühstücks-Appetit, kostete aber die Luxus-Ausstattung zur Kaffee- und Tee-Zubereitung aus: Nespresso-Maschine – und die Milch stand in einem kleinen Kühlschrank darunter bereit. Außerdem machte ich mir eine große Tasse schwarzen Tee mit Zucker und Milch.

Wanderkleidung wie gehabt Shirt unter Fleecejacke. Gestern schlüpfte ich allerdings in mein älteres Paar Wanderschuhe: Sie haben einen einen höheren Schaft, von dem ich mir mehr Anstrengungsverteilung auf das ganze Bein und weg von den Füßen erhoffte.

Früh verabschiedete ich mich – bat allerdings nicht um ein Sandwich statt Frühstück: Das am Vortag hatte mich nach der Brotzeit müde gemacht, ist für mich (!) keine ideale Wanderbrotzeit.

Zum Start meiner Wanderung fühlte ich mich erstmal ein wenig verarscht.

Schon am Vorabend war ich an der einen Straße durchs Dorf hängengeblieben und am riesigen Schild “NO PEDESTRIAN ACCESS!”, also Fußgänger verboten – nachvollziehbar, wenn die ohnehin schmale Stelle ohne Fußweg auch noch durch eine Baustelle verengt wird. Auf die Schnelle hatte ich auf Google Maps aber keine alternative Route zu meiner Unterkunft gefunden und war kaltschnäuzig einfach trotzdem durchgegangen. Jetzt am nächsten Morgen für den Weg zurück zum Wanderweg wollte ich aber brav sein und setzte zu einem weeeeeiten Umweg an – der mich aber in die falsche Richtung führte. Ich kehrte um und fragte vorsichtig eine Fußgängerin mit Hund, wie ich bitte zu Fuß auf die andere Seite des Dorfs käme. Die greise Dame winkte ab: Gehen Sie einfach durch, es gibt keinen anderen Weg. Das machte ich also, mit einheimischem Segen.

Zurück hoch zum Wanderweg, die Sonne schien wieder herrlich.

Bankerl! Und zwar mit Blick auf South Harting, wo ich übernachtet hatte. Und warum Bankerl? Weil Autoparkplatz – der ebenfalls diesen wundervollen Ausblick bot. Und der mich daran erinnerte, was ich bereits in meinem Studienjahr in Wales Anfang der 90er gelernt hatte: Der Brite und die Britin fahren gern mit dem Auto auf Parkplätze mit schöner Aussicht und machen dort Picknick. Im Auto. Meine britischen Freundinnen erklärten das nachvollziehbar mit dem wechselhaften Wetter: Da es so oft regne, mache man halt im regengeschützten Auto Picknick.

Hier sah ich zwei Krähen, die zwei Falken ärgerten.

Man dekoriert hier kahle Bäume mit Paraglidern.

Die Wegführung war gestern schlichter als an den Tagen zuvor, über lange Strecken sah es gleich aus. Wie hier auf dem links und rechts abgesperrten Durchgang durch einen weitläufigen Estate.

Perfekter Sitzstamm für meine erste Pause nach zweieinhalb Stunden.

Gestern sah bekam ich sehr viele unterschiedliche Schafe geboten, unter anderem die Rasse Badger Face.

Vor allem aber sah ich sehr, sehr viele Fasane, fast so viele wie Krähen (auf dem Feld oben zählte ich 24 – halt, 25). Kann es sein, dass Fasane ein bissl blöd sind? Oft hätte ich sie gar nicht bemerkt in Buschwerk am Wegesrand oder in Maisfeldern – wären sie nicht bei meinem Passieren laut kakelnd aufgeflogen. Ein paar Mal erschrak ich davon und dachte mir: Wenn ich Jägerin wäre, hätte ich innerhalb einer Stunde reichlich Abendessen geschossen. Wegducken und Verstecken ist wohl nicht Fasanen-Art. Zudem liefen sie einige Male in Gruppen auf dem Weg vor mir her, immer wieder versuchte einer irgendwie durch die zu kleinen Maschen im Zaun zur Weide zu kommen. Hin und wieder fiel dann einem oder einer der Gruppe ein, dass sie ja fliegen konnten.

Diese neue Wanderhose (Tchibo) wurde umgehend meine Lieblingswanderhose: Sie passt perfekt, vor allem aber ist sie die paar Zentimeter länger, die es braucht, um über den Schaft meiner Wanderstiefel zu reichen. Meine anderen Wanderhosen sind dafür alle zu kurz: Meine Wanderstiefel sammeln also immer Pflanzenteile und Steinchen – keine Wanderung ohne mindestens einmal Stiefelausziehen und Ausleeren.

Um halb zwei nutzte ich eine sonnenbeschienene Wiese zur Brotzeit, fand sogar wieder einen Baumstamm zum Sitzen. In der Sonne saß ich jackenlos, machte auf der weichen Wiese ein paar Dehnübungen.

Es gab Äpfelchen, restlichen Kefir, Trockenpflaumen und Nüsse – genau das richtige zur Stärkung ohne zu belasten.

Auch solche Abschnitte waren gestern dabei – in industrieller Landwirtschaft sind Feldwege echt nicht interessant.

Blick auf die Isle of Wight; nach links sah ich am Horizont Portsmouth.

Alte Römerstraße. Dunkle Wolken auf meinem letzten Wanderabschnitt, doch es blieb trocken.

Vor meinem Zielort Amberley kreuzte ich den Fluss Arun.

Die letzte Stunde zog sich: Zum einen musste ich lange eine Feierabendverkehr-befahrene Straße in Abgasen entlanggehen (E-Autos gibt’s hier wohl nicht), zum anderen eine zusätzliche halbe Stunde bis hinter den Dorfrand zu meiner Unterkunft in Amberley – die machte mich grantig.

Nachher-Foto. Der Körper spielte super mit, die Entscheidung für die hochschaftigen Stiefel war richtig gewesen: Darin schrumpfte sogar die Blase an dem Prinzessinen-Zeh, der am Montag dringend zusätzliche Polsterung gegen den bösen flachen Stiefelboden bauen musste.

Leider war das nicht die ideale Unterkunft für Entspannung nach solch einer körperlichen Anstrengung: Kleines Zimmer ohne Schreibtisch, keine Badewanne (aber hey! heißes Wasser in der winzigen Eck-Dusche!), Föhn fand ich keinen.

Doch nach Duschen und Umziehen aß ich ein wirklich gutes Abendessen von ausgesprochen herzlicher Bedienung zu meinem Pint Real Ale: Die Tagessuppe war aus gerösteten Pastinaken und Birnen zubereitet und sah wirklich hausgemacht aus, ich bekam einen großen Teller Salat (gemischter Salat mit Oliven und Feta heißt hier “griechisch”) – und dann stand auch noch Sticky Toffee Pudding auf der Dessertkarte.

Meine Unterhaltung war das Gespräch zwischen zwei anderen Tischen: Ein Gast stellte sich als örtliche Winzerin heraus, die von der gerade laufenden Weinlese berichtete und welche Sorten es gibt. Später kam ich ins Gespräch mit anderen Einheimischen (sie sprachen mich auf meine Wanderung an, wir tauschten Wander- und Anreiseerfahrung mit dem Zug durch ganz Europa aus), die mir von diesem Weingut erzählten: Wiston Estate. Vorsatz in Brighton bei dem Weinladen von vor zwei Jahren mt vielen heimischem Produkten danach suchen.

Ich schaffte es dann doch nicht, einfach ein zweites Pint zu bestellten und Bloggen Bloggen sein zu lassen, sondern zog mich zu eben diesem in mein Zimmer zurück. Zumindest die Fotobearbeitung verschob ich auf den nächsten Morgen: Es steht ein kürzerer Wandertag an (21 km), ich kann mir Zeit lassen.

Journal Montag, 22. September 2025 – South Downs Way 2: Von Exton nach South Harting

Dienstag, 23. September 2025

Lang geschlafen, vor Weckerklingeln aufgewacht. Für die gestrigen 27 angekündigten Kilometer wollte ich zeitig los, noch konnte ich mein Tempo auf der Strecke nicht einschätzen – und ich wollte mir genug Zeit geben für Gucken, Staunen, Fotografieren, Umwege, Pausen.

Das fragwürdig originelle Waschbecken erwies sich als unpraktisch: Natürlich pritschelte ich beim Zähneputzen und Händewaschen rundum wie Sau, und meine Wasserflaschen passten zum Auffüllen nicht darunter, ich behalf mich mit einem Wasserglas.

Wie vereinbart hatte man mir statt Frühstück ein Sandwich zum Mitnehmen vorbereitet, ich dankte herzlich. Und dann startete ich kurz nach acht in sonnigen – laut Wetter-App – sechs Grad.

Meine Unterkunft, The Bucks Head, in Morgensonne.

Waren mir schon am Sonntag reichlich am Wegesrand begegnet: Die sehen aus wie die Alpenveilchen, die bei uns im Topf verkauft werden, nur sehr klein – kann das sein?

Wunderschöner erster Streckenabschnitt entlang einem trockenen Bachbett (links).

Dann ging es hoch: Damit der South Downs Way Aussichten bieten kann, muss er oft obenrum führen.

Endlich Schafe! Auch schwarzbunte Kühe hatte man mir gestern in die Aussicht gestellt.

Wenn man eine Sehenswürdigkeit angeboten bekommt, muss man auch gucken – zumal diese Festung aus der Eisenzeit keinen großen Umweg bedeutete. Das Old Winchester Hill hillfort wurde interessanterweise nie ausgegraben: Aus meiner jüngsten Lektüre, Jens Notroffs Staub, Steine, Scherben, weiß ich, dass das eine valide archäologische Option ist: Jede Ausgrabung zerstört unweigerlich die historische Stätte und was darin liegt; am sichersten sind Funde unausgegraben.
(Wenn man den Fundort allerdings eh zerstören muss, weil etwas anderes dort gebaut werden soll, können Archäolog*innen natürlich aus dem Vollen schöpfen. Schaufeln. Spitzhackeln. Graben. Frau Brüllen hilft zum Beispiel diese Woche wieder als citizen scientist bei einer solchen Grabung, gestern ging’s los.)

An diesem Hohlweg machte ich nach zweieinhalb Stunden die erste Pause – auch wenn ich weit und breit keinen windgeschützten und wirklich angenehmen Platz dafür fand; ich zwang mich zu kurzem Sitzen und Ausruhen.

Andere Schafe.

Mein Wanderbüchl hatte auf das Sustainablility Center mit Beech Café hingewiesen: Das lag genau richtig auf meiner Strecke für Mittagscappuccino und Klo. Aber.

Mist, Montag und Dienstag geschlossen. Also wieder Pinkeln im Wald (große Blätter von Bäumen statt Klopapier, ich wiederhole den Tipp).

Nach einer Weile ging es recht steil bergab.

Ich bekam meinen ersten Meerblick – plus Aussicht auf die Autobahn A3, die schon seit einiger Zeit den Soundtrack meiner Wanderung dominiert hatte.

Um halb zwei war es wirklich Zeit für Brotzeit – ich hatte sie so lange hinausgezögert, weil die Karte des Wanderbüchls “benches with good views” angekündigt hatte. Und da war tatsächlich eine! Es gab ein Äpfelchen, etwas Kefir (am Samstag bei Tesco’s besorgt) sowie das mächtige Ham and cheese sandwich. Ich blieb nicht so lange sitzen, wie ich mir gewünscht hätte, denn in Schatten und Wind war mir kalt.

Von diesen Schilden standen einige am Weg – ich möchte nicht wissen, wie viele verunfallte Mountainbiker hier jährlich zusammengefegt werden müssen.

Sehr schöner Anblick – aber eine von zwei falschen Abzweigungen, die mir gestern durch nicht ganz eindeutige Ausschilderung unterliefen. Kamen mir jeweils rechtzeitig komisch vor, der GPS-Track brachte mich auf die richtige Spur.

Wie ich einmal sehr bedauerte, keine heimischem Münzen bei mir zu haben: Die Äpfel hätte ich gerne gekostet.

Tier-Show des Tages: Wieder viele Fasane, öfter gehört als gesehen, wie schon am Sonntag Schwalben, aber auch viele andere Vögelchen (u.a. Distelfinken, Rotschwänze), die morgens für die Jahreszeit erstaunlich variantenreich sangen. Ein paar LBBs (little brown birds – sagen angeblich Ornitholog*innen, wenn sie auch nicht wissen) sah ich eine Weile beim Baden in Pfützen zu. Am Himmel Möwen, Krähen, Greifvögel.

Menschen: Am seltensten Wander*innen, aber viele Jogger, Bergläufer, Hundegassiführer*innen, Mountainbiker, kurz vor Ende auch eine Mountainbikerin – das Gelände diente zumindest gestern vor allem als Sportgerät.

Straßen: Gestern war der Anteil an frequentierten Landstraßen, die ich entlang gehen musste, nicht ganz so hoch wie am Sonntag (mir immer sehr unangenehm), doch dreimal waren sie so eng von dichten Hecken eingegrenzt, dass ich bei entgegenkommendem Lieferwagen, Quad, Schulbus ein ganzes Stück zurückgehen musste bis zu einer Möglichkeit, den Wagen vorbeizulassen (und dann eine Weile flach atmen, weil Abgase und Staub).

Im rechten Winkel bog ich weg vom South Downs Way und nahm diesen Pfad zu meinem Ziel South Harting.

Sehr freundlicher Empfang, das zugehörige Lokal sah besonders einladend aus, ich bat um einen Tisch fürs Abendessen.

Gemütliches Zimmer, wenn mich auch leise Trauer über den Abstieg von Bücherwänden zu Tapeten überkam – ich bin ja mit schuld. (Gibt es ein Fachwort für diese Erscheinung: Dass etwas noch eine Aura transportiert, aber statt dem eigentlichen Gegenstand ein Bild davon reicht, um sie zu vermitteln?)

Das waren gut 27 Kilometer in knapp acht Stunden mit zwei Pausen: Die heutigen FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! sollten in zehn Stunden zu schaffen sein.

Körper weiterhin ok-ish: Er meldete sich unterwegs mal mit diesem (linkes Knie! Hüftbeuger!), mal mit jenem (hinterer rechter Oberschenkel!), das hörte aber jeweils von selbst wieder auf. Eher beunruhigte mich die riesige Blase an der Unterseite des linken Ringzehs, von nichts weiter verursacht als von der faltenfreien, glatten Fläche darunter. Ich beschloss, die Blase einfach Blase sein zu lassen, an dieser Stelle stört sie ja nicht sehr und kann kaum schlimmer werden (WEIL DA NICHTS IST!) – für alle Fälle aber Blasenpflaster in meinen Tagesrucksack einzustecken.

Wieder verwendete ich sofort viel Zeit fürs Bloggen (diesmal auf dem Bett: ich hatte das Bedürfnis, die Beine hochzulegen) – mit etwas schlechtem Gewissen, dass ich sie nicht für anderes NÜTZTE bei dem herrlichen Wetter. Ich musste mir aktiv klarmachen, dass acht Stunden draußen bereits reichlich NÜTZEN gewesen war.

In der Ferne übte jemand Horn – auf sehr hohem Niveau.

Das Abendessen war dann wirklich erfreulich.

Zum alkoholfreien Bier (Fitness-Erhalt durch möglichst wenig Gifte) bestellte ich das Gericht, das am meisten Gemüse versprach: Gegrillte Hühnerbrust mit Gemüse-Orzo – und zur Sicherheit noch Brokkoli als Beilage. Das schmeckte sehr gut, enthielt tatsächlich viel Gemüse, unter anderem zwei ganze Knoblauchzehen – und war ganz sicher frisch zubereitet von jemandem, der oder die das beruflich macht. Ja, dafür zahlte ich ein wenig mehr als für die vorherigen beiden Abendessen, und das gern.

Der Zugang zu meinem Zimmer, dort gab’s als Dessert die restliche Schokolade.

§

John Oliver hat Bernd das Brot entdeckt.

Journal Sonntag, 21. September 2025 – South Downs Way 1: Von Winchester nach Exton

Montag, 22. September 2025

Ich schlief gut und lang, erst der Wecker weckte mich: Auf meine alten Tage werde ich gegenüber Schlafzimmerverhältnissen (kein offenes Fenster möglich!) anscheinend sogar toleranter. Erstmal Kaffee, in England kann ich mich zum Glück auf Wasserkessel und zumindest löslichen Kaffee auf dem Zimmer verlassen. Frühstück hatte ich zwar mitbuchen (und -zahlen) müssen, aber morgens geht halt nix. Hoffentlich schaffe ich es wenigstens in dem einen oder anderen B&B zu fragen, ob ich mein Frühstück als Sandwich zur Brotzeit mitnehmen darf (hatte damit schon schlechte Erfahrungen, z.B. letztes Jahr auf Mallorca, deswegen kostet mich das Überwindung).

Vielversprechende Hotelzimmeraussicht.

Wanderkleidung bei Vorhersage von eher niedriger Temperatur ohne Regen: zur langen Wanderhose langärmliges Shirt unter Fleecejacke. War genau das Richtige, um die Mittagszeit war fast eine Stunde lang die Jacke sogar zu warm, ich band sie um den Bauch.

Da die erste Etappe eine der kürzesten war, wollte ich mich vorher noch ein wenig in Winchester umsehen. Was dadurch ausgebremst wurde, dass die Innenstadt gestern für den jährlichen Halbmarathon blockiert war – ich spazierte halt durch ein paar ungesperrte Straßen.

DIE Kathedrale. Es fand gerade ein Gottesdienst statt (der Chor klang weit überdurschnittlich gut), aber ich hatte eh keine Ruhe für eine Besichtigung. Also spazierte ich lediglich einmal drumrum.

Frühstücksvolk im Café an einem Sonntag vor zehn – das ist hier eine komplett andere Kultur als bei uns. (Die Temperatur, nur wenig über 10 Grad, traue ich den Müncherinnen allerdings inzwischen fürs Draußensitzen zu.)

Um zehn startete ich die eigentliche Wanderung, den South Downs Way, am Flüsschen Itchen in Winchester.

Hinter Winchester ging es aufs freie Land. Die Büsche links hingen voller überreifer Brombeeren – und obwohl es mir zu früh für echten Appetit war, kam ich nicht an ihnen vorbei und aß Dutzende.

Den live GPS-Track schaltete ich bald aus: Wanderbüchl (von der Agentur gestellt, über die ich die Wanderung mit Übernachtungen und Gepäcktranport gebucht hatte) und reichlich Beschilderung führten mich genügend, und die App zog sehr viel Strom in meinem Handy – da ich gewohnt bin, dass ich den Akku bei Alltagsgebrauch nur alle drei Tage laden muss, habe ich keine Powerbank dabei.

Mehr als respektables Baumhaus.

Ab hier gab es die schönen Ausblicke, die das Wanderbüchl angekündigt hatte.

Wie in England gewohnt führte mich die Route immer wieder durch Privatgelände (siehe rechtlicher Hintergrund public footpath).

Beim Kreuzen eines ausgedehnten Bauernhofs sah ich, dass wohl auch viele Einheimische nicht damit vertraut sind, dass sie wirklich nur diesen einen Weg betreten dürfen; das waren nur drei von vielen Absperrungen und Schildern.

Nach zwei Stunden machte ich brav Pause, auch ohne Müdigkeit: Ich hatte mir vorgenommen das zu üben, unter anderem um für die FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! fit zu bleiben. Was ja hier leider ganz fehlt, ist jegliche Bankerl-Kultur, auch um die Dörfer steht nichts – anscheinend gibt es hier keine Menschen, die sich gern wo hinsetzen und in eine schöne Aussicht schauen. Für meine Pause und zwei Stunden später zur Brotzeit (Nüsse, Trockenfeigen und -pflaumen) musste ich mich halt auf den Boden setzen.

Auch hier scheint ein gutes Apfeljahr zu sein (Streuobstwiesen sind aber sicher auch hier nur etwas fürs Privatvergnügen und lohnen sich nicht für den Großmarkt – vielleicht erwische ich einen Bauernmarkt oder Dorfladen).

Der erste von sehr vielen Fasanen, die ich im letzten Abschnitt auf den riesigen, abgeerneteten Feldern dieser industriellen Landwirtschaft erst hörte, dann auch sah. Tut mir leid: Damit ich schlechteste aller möglichen Tierfotografinnen sie erwische, müssen sie halt tot sein. Weitere Tiersichtungen: Ein graues Eichhörnchen (doppelt so groß wie unsere zierlichen – ich weiß, die hiesigen wurden von amerikanischen Einwandererhörnchen verdrängt), viele Greifvögel am Himmel (Rotmilane identifiziete ich eindeutig, sonst eventuell Bussarde), einmal saßen drei sehr helle so tief über mir auf einer Thermik, dass ich sie lange ansehen konnte. Außerdem Kaninchen – aber keine einzige Kuh, kein einziges Schaf.

Menschen beim Spazieren oder Wandern begegneten mir sehr wenige, obwohl doch Sonntag war, mehr noch auf Mountain Bikes (nur sehr wenige mit Motorantrieb): Der gesamte Abschnitt gestern war auch für sie freigegeben, auf besonders schmalen Pfaden bereitete es Mühe, aneinander vorbei zu kommen.

Sehr spät das erste kissing gate – und ich hatte niemand dabei zum Küssen, vermisste auch sonst Herrn Kaltmamsell.

Weg hinunter zu meinem Zielort Exton. Jetzt hatte sich der Himmel verdüstert, doch es fiel kein Regen – einen von sieben Wandertagen habe ich schonmal trocken bekommen. Im Moment wird für die ganze Woche Regenfreiheit und Sonne vorhergesagt, doch ich erinnere mich, dass die Wettervorhersage in England so schnell wechselt wie das Wetter.

Das waren dann 21 gemessene Kilometer in sechs Stunden mit zwei Pausen (plus Spaziergang in Winchester), wobei ich am Ende getrödelt hatte, um nicht zu früh in meiner Unterkunft anzukommen. Für meine FÜNFUNDREISSIG KILOMETER! am Dienstag werde ich mindestens zehn Stunden einkalkulieren müssen.

Es war noch ein Stück zusätzlicher Weg zu meiner Unterkunft, einem Landgasthof. Wieder meldete ich mich gleich mal fürs Abendessen an – auch wenn ich online auf der Speisekarte gesehen hatte, dass man hier am allerstolzesten auf die Sauerteig-Pizza ist.

Angenehmes Zimmer, über die Waschbecken-Entscheidung denke ich noch nach. (Und das Rhabarber-Waschgel daneben enthielt die Geruchskomponente Männerschweiß.)

Der Körper hatte gut mitgespielt, abends dehnte ich noch ein wenig durch.

Da ich mich nicht sehr aufnahmefähig gefühlt hatte, hatte ich den Eindruck, ich hätte nicht so viel fotografiert wie sonst auf Wanderungen. Der Download auf meinen Computer sagte etwas anderes.

Abendessen im angeschlossenen Pub.

Touristinnenpflicht in dieser Gegend: Real Ale trinken. Ich hatte schon vergessen, wie süffig die Kohlensäure-Armut das Bier hier macht.

Auf Pizza hatte ich überhaupt keine Lust und bestellte etwas Traditionelles. Dass bei “Ham, Eggs and Chips” der Ham schlicht aus einer kalten Scheibe Kochschinken bestand, konnte mich allerdings überraschen. Ich werde hier unterwegs ohnehin deutlich mehr Fleisch essen, als mir lieb ist, bislang war die vegetarian option Pasta oder Pizza – in der Gegend, die ich als historischen Ursprung des Vegetarismus abgespeichert hatte, dann doch unerwartet. Selbst unter den Beilagen, die man hier extra bestellen kann, sind Kartoffeln das einzige Gemüse – nix kl. gem. Salat. Am Nebentisch bekam ich eine unwillige Nachfrage beim Servicepersonal mit, die vegetarian options seien ja schon ganz schön übersichtlich.

The Bucks Head im Abendlicht. Während meines Abendessens hatten einige weitere Wander*innen für die Übernachtung eingecheckt; ich kann mir vorstellen, dass das B&B-Angebot hier nicht allzu groß ist: Einheimische machen den South Downs Way eher in Abschnitten als Tageswanderung, das hier ist ansonsten kein Urlaubsgebiet, alternativ gibt es laut meinem Wanderbüchl Camping-Möglichkeiten (die eher zu den echten Wander-Fans passen).

Zurück auf dem Zimmer gab es noch ein wenig Schokolade.
Bloggen und die mir wichtigen Menschen im Internet nachzulesen (deutsche Timeline voll von zauberhaften Sommerabschiedsfotos), dauerte dann so lange, dass ich nicht mal prüfte, ob es auch hier echtes Fernsehen gab (vielleicht passend zum überholten Speisenangebot).

Die Erwachsenenkarte ausgespielt und so früh ins Bett gegangen, wie ich wollte (sehr früh).

§

Fikri Anıl Altıntaş ist Schriftsteller und in der politischen Bildungsarbeit aktiv. In der taz spricht er mit Karlotta Ehrenberg über seine Schul-Workshops zu Männlichkeitsbildern, Gewalt und Feminismus.
“Ein Gespräch über Geschlechterrollen
‘Ich hätte gern Ballett getanzt'”.

Journal Samstag, 6. September 2025 – Tegernseer Höhenweg in Spätsommersonne

Sonntag, 7. September 2025

Zerstückelte Nacht, unterm Strich bekam ich aber wegen kein Wecker genug Schlaf. Es wurde wolkenlos blau Tag, allerdings scheißkalt. In Summe wunderbares Wanderwetter, und Wandern war der Plan des Tages: Nach gemütlichem Morgen mit Bloggen und Lesen wollten wir den Tegernseer Höhenweg ab Gmund und mit Ziel Tegernsee wandern.

Gut sonnengecremt und mückengesprayt.

Die Anfahrt dauerte länger als geplant: In der sicheren Überzeugung, dass der Zug erst in Tegernsee geteilt wird, hatte ich uns in einen falschen Zugteil gesetzt. So sicher, dass ich fast protestiert hätte, als wir an einem Endbahnhof Schliersee alle gebeten wurden, den Zug zu verlassen.

Während Herr Kaltmamsell recherchierte, welche schönen Wanderungen es am Schliersee gab, suchte ich nach einer Möglichkeit, doch noch Gmund zu erreichen: Es gab einen Bus für die 10 Kilometer dorthin in nur wenigen Minuten. Die dann 20 Minuten waren, die Verspätung wurde kontinuierlich wachsend angezeigt – egal: Wir kamen doch noch nach Gmund, und Herr Kaltmamsell konnte mit Jahrzehnten Übung gut damit umgehen, dass ich mich eine Zeit lang über meine Blödheit grämen musste.

Bahnblick

An einer Gmunder Eisdiele bekam ich meinen Mittagscappuccino, damit war die Welt halbwegs eingerenkt. Bei eh traumhaftem Wetter.

Mangfall kurz vorm Tegernsee – wir entdeckten kleinere Fische.

Herr Kaltmamsell las am Wegesrand ein Schild zu “Käse-Automat” – wir bogen sofort dorthin ab.

Der Automat in der einladenden Hütte bot eine Auswahl Käse der Naturkäserei Tegernseer Land, wir kauften ihm einen Weissacher ab, “Weichkäse in Salzlake gereift” las sich sehr attraktiv.

Wie schon beim ersten Begehen dieser Route war auf dem Stück zwischen Gmund und Tegernsee sehr viel los, es ist offensichtlich auch für Spaziergänge beliebt. Erst ab Tegernsee wurde es deutlich ruhiger auf dem Höhenweg, vermutlich auch weil er ab hier anspruchsvoller wird mit Steigungen und Gefälle. Die Temperatur war perfekt, nur in sportlicher Bewegung brauchte man keine Jacke. Alle beteiligten Körper fühlten sich fit an, wir bekamen Ausblicke, zudem als Tiershow viele, viele Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner (ich mag Hühner; Tauben auf dem Balkon verbietet unsere Hausverwaltung vehement, aber vielleicht wäre sie für Balkonhühner offen?). Außerdem begegneten wir auffallend vielen sehr kleine Hunden – ist das der aktuelle Trend? Mir versetzt es ja immer einen kleinen Stich, wenn die Besitzer*innen ihre Winzeltiere bei ungewünschten Richtungen an der Leine in die Luft hochziehen – ist es nicht bedrohlich fürs Hunderl, wenn es sich so wenig selbstbestimmt bewegen kann? Selbst ein Meerschwein würde ich nicht ohne Not einfach hochheben.

Immer wieder kamen wir ins Plaudern, auch über die Figuren in der Serie Mad Men, deren Zeichnung mir sehr im Kopf rumging, vor allem die unglaublich vielschichtige von Peggy Olson.

Meine erste Herbstzeitlose dieses Sommerendes.

Verwirr-Foto am Aussichtspunkt Paraplui-Pavillon: Das untere ist die Tafel mit Beschriftung der Sehenswürdigkeiten. Oben zentral: der Wallberg.

Hier machten wir nach zwei Stunden Wanderung um halb drei Brotzeit: Ich aß einen Apfel und eine Mohnschnecke.

Die Rottach, anders als im Winter mit Wasser.

Selfie mit Rottach-Egern als Hintergrund.

Schloss Tegernsee

Bei Wanderende am Bahnhof Tegernsee behauptete mein Handy, das seien über 20 Kilometer gewesen – konnte ich bei viereinhalb Stunden Wegzeit mit viel Aufwärts und Abwärts nicht glauben: Das letzte Mal waren nur 16 Kilometer gezählt worden, deutlich wahrscheinlicher.

Wir waren so rechtzeitig im Zug zurück, dass wir uns einen Sitzplatz aussuchen konnten: Sehr willkommen, wir waren beide erschöpft. Ereignislose Fahrt nach München, unterwegs einigten wir uns darauf, Biergartenpläne fahren zu lassen und statt dessen daheim zu brotzeiten.

Aperitif Negronis, dann gab es zu selbstgebackenem Roggenmischbrot aus der Gefriere Käse (unter anderem den Weissacher aus dem Automaten, mild und sehr gut), Tomaten, Kimchi, südtiroler Speck.

Im Glas ein Gemischter Satz: Durch die Weinberge von Fuhrgassl-Huber waren wir im Wien-Urlaub gewandert, ich hatte sofort zugegriffen, als ich ihn im Wiener Supermarktregal entdeckte. Schmeckte frisch und gut, war aber nichts Besonderes.

Nachtisch Schokolade, Abendunterhaltung eine Folge Mad Men. Müde und erschöpft früh ins Bett, beschienen vom noch fast volleren Mond durchs Schlafzimmerfenster (Sonntagabend gibt es hier eine Mondfinsternis, ich hoffe sehr auf halbwegs klaren Himmel).

Journal Sonntag, 24. August 2025 – Wien 3 mit Grätzl-Spaziergang und Heurigen-Wanderung

Montag, 25. August 2025

Gut und noch länger geschlafen.

Gute Aussichten!

Während ich bloggte (was wieder länger dauerte als gedacht mit all den Fotos – und dabei habe ich sogar aus Erschöpfung vor einiger Zeit aufgegeben, für jedes Foto auch noch einen Alt-Text zu erfinden, schlechtes Gewissen hin oder her), hatte Herr Kaltmamsell die Aufgabe, fürs Tagesprogramm Heuriger eine Anfahrt plus Wanderung zu recherchieren. Das Ergebnis seiner Recherche ließ uns Zeit für Erkunden unserer Wohngegend im 15. Bezirk und für Mittagscappuccino.

Kardinal-Rauscher-Platz, strahlend sonnig, aber deutlich jackenkühl.

Überrraschend, wie vielen Trinkwasserbrunnen wir in Wien begegnen, da stellt sich eine Großstadt auf höhere Temperaturen ein. Das Modell oben kenne ich aus Berlin, sonst gibt es in Wien größere Metalltürme mit viel Text darauf.

Typo-Liebe, manchmal auch in Rätselform (es soll M77 heißen, das Restaurant am Eck gibt es aber nicht mehr).

Diese Kleingartenanlage des Vereins Zukunft auf der Schmelz ist so weitläufig, dass die Wege fürs Spazieren und für Sport genutzt werden (oben einer der schmalsten Wege, hinten sieht man die Graf-Radetzky-Kaserne). Für uns Deutsche überraschend: Wo in uns vertrauten Kleingartenanlagen Hütten stehen, waren das hier überwiegend große, meist schicke und bis zu zweigeschoßige Wohnhäuser mit allem Drum und Dran, manche von englischem Rasen umgeben statt von Gemüsebeeten – die Satzungen der hiesigen Kleingartenvereine müssen sich deutlich von denen unterscheiden, die wir gewohnt sind.

Mittagscappuccino im (nachvollziehbarerweise) empfohlenen Café Kriemhild.

(Schwarzer Schlabberrock, dunkle Biker Boots, hochgeschlossene Reißverschluss-Sportjacke aus dunkelgrau glänzendem dickeren Material, unterm Bund lugte ein Tuch um die Hüften gebunden hervor, dessen Muster auch Schwarz und Jackengrau enthielt, die Haare zottelig kurz, darin Metall-Klupperl, wie sie beim Haareschneiden verwendet werden – das Styling der jungen Frau gefiel mir so gut, dass ich es ihr sagen musste.)

Zurück in der Wohnung aß ich zum Frühstück ein ordentliches Stück Picknick Pie, das Herr Kaltmamsell in München aus Ernteanteilgemüse zubereitet hatte. Dann begannen wir den Öffi-Triathlon, der uns nach Grinzing zur Weinberg-Wanderung brachte: Bim, U-Bahn, Bus. Der Bus war dicht besetzt mit als Bayer*innen verkleidetem Volk, und wir mussten vor der eigentlichen Endhaltestelle der Linie raus: Akkrat an diesem Wochenende fand der Neustifter Kirtag statt, der das letzte Stück der Buslinie belegte. Ich konnte mir nicht recht vorstellen, dass Wiener*innen Oktoberfestbesucher*innen cosplayen – als was fühlten die sich wohl angezogen?

Das schmale Landsträßchen war nicht nur für uns Fußgänger*innen die Umgehung des Volksfestgebiets (und wir waren bei weitem nicht die einzigen Sonntagsspaziergänger*innen), sondern auch für die Autos: Einige Male mussten wir in die Weinberge steigen, um auszuweichen.

Harmlos scheinende Mariensäule.

Mit echtem katholischen Grusel beschriftet.

Dagegen wirkte die Reblaus-Figur niedlich.

Der Wanderweg, den Herr Kaltmamsell gefunden hatte, war wunderschön. Er bot sonnige Nahblicke in die Weinberge und weite Aussichten auf Wien, zwei Stunden mit viel Abwechslung. Die erste Stunde für mich leider getrübt von absurden Kreislauf-Purzelbäumen, die mich vor Schwindel einmal sogar eine Bank benötigen ließen (nicht lang, denn sie stand riechbar neben einer Sickergrube).

Die Wanderung führte uns auch an der umgebauten Sisi-Kapelle Am Himmel vorbei, hier die Geschichte.

Ich hatte mir den kleinen Heurigen Zawodsky empfehlen lassen, schön klein und grün eingewachsen.

Die Weinkarte:

Er schmeckte mir sehr gut: blumig, vielfältig, kräftig, mit Nachhall. Nachfrage ergab: ein Gemischter Satz.

Dieser Heurige ist bekannt für Gegrilltes, wir aßen je eine Scheibe Schweinernes mit Salat, ich ließ mir zusätzlich einen Maiskolben grillen.

Und wir genossen die Aussicht mit Abendsonne.

Reschpekt, Sievering: Eine Barock-Kirche mit Show-Treppen. Und als hätte das nicht gereicht, heißt sie auch noch Wallfahrtskirche Mariä Schmerzen Kaasgraben – Humor konnte man der katholischen Kirche noch nie absprechen.

Für den Heimweg gingen wir das erste Drittel des Öffi-Triathlons zu Fuß, dann brachten uns Regional- und U-Bahn zu unserer Straße.

Erstmal gingen wir aber auf ein Eis als Nachtisch 1 zur Gelateria di Jimmy (kosmopoliter wird’s wahrscheinlich nicht), spazierten dann mit dem (wirklich guten) Eis in der Hand durch die Abenddämmerung.

Vor dem Schlafengehen gab es als Nachtisch 2 einen Teil der Tofu-Desserts, die wir am Samstag in der Tofu-Manufaktur entdeckt hatten:

Von rechts: Säuerlicher, schaumiger und nur leicht süßer Tofu / Cheesecake / Schoko-Tofu, ziemlich fest. Alles ganz ausgezeichnet und überraschend.

Stärkstes Glücksgefühl: Es war Sonntagabend, und ich musste am nächsten Tag NICHT in die Arbeit!

In der Wochenend-SZ hatte ich den Selbstversuch von Sebastian Strauß gelesen, der wie die jungen Leute heutzutage seinen Amsterdam-Urlaub anhand von Tiktok-Empfehlungen organisierte (€):
“Wie die Generation Tiktok Urlaub macht”.

Ergebnis nicht überraschend, ich kenne die ohne Tiktok-Empfehlung nicht erklärbaren Schlangen vor random Lokalen und Geschäften ja aus der Münchner Innenstadt. Und bin sehr sicher, dass es auch anders planende junge Leute gibt.

Selbst folge ich sehr gerne persönlichen Empfehlungen, meist von Menschen, die ich kenne (manche habe ich diesmal mitgeschrieben, als jemand anders kürzlich auf Mastodon um Wien-Tipps bat, unter anderem den Heurigen Zawodsky). Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht: An den Bremen-Urlaub entlang den Empfehlungen einer Freundin, die dort studiert hatte, denke ich bis heute sehr gern, das englische Bath mit der Tipp-Liste einer Kollegin, die dort das Auslandsjahr ihres Studiums verbracht hatte, brachte mich an viele sehens- und erinnernswerte Stellen, auf die ich sonst nie gekommen wäre (von denen die meisten tatsächlich in keinem Reiseführer auftauchten). Aber: Meine FOMO ist stark unterentwickelt. Alles (wovon eigentlich?) schaffe ich eh nicht, Superlativen misstraue ich (“schönstes”, “bestes” – nach welchen Kriterien?), bevorzuge Eigen- und Besonderheiten, die auch Menschen schätzen, die an meinem Urlaubsort leben.

Journal Samstag, 16. August 2025 – Unerwartet trockene Wanderrunde am Starnberger See über Berg

Sonntag, 17. August 2025

Halleluja: Die Gewitter in der Nacht hatten deutliche Kühle gebracht, beim Aufwachen regnete und grummelte es noch – und war zu kühl für Balkonkaffee!

Trotz der Wettervorhersage war ich zum Wandern verabredet – ein bisschen Regenrisiko wog die Alternative einer Wanderung in Brüllhitze in meinen Augen auf.

Als ich mich um halb zehn für diese Verabredung zum Bahnhof aufmachte, schüttete es gerade energisch. Ich schlüpfte also schon für diesen Weg in meine Regenjacke – und nahm die U-Bahn, um nicht schon nass im Zug nach Starnberg zu sitzen. Dorthin nämlich fuhr ich mit einer Freundin, um die Rundwanderung nach Percha, Berg, Leoni, Bismarckturm Assenhausen, über Aufkirchen, Manthal zurück zu machen, mit der ich vor drei Wochen mit Herrn Kaltmamsell wegen Regenfluten gescheitert war.

Starnberg empfing uns mild und trocken, und um es abzukürzen: So blieb das Wetter den ganzen Tag; uns erwischte kein einziger Regentropfen, wir bekamen sogar ein wenig Sonne – wunderbares Wanderwetter, die Schwüle brachte mich aber mehrfach ins Schwitzen.

Ich genoss es sehr, mit der Freundin zu gehen, manchmal einander auf Anblicke hinweisend, aber meist ins Gespräch vertieft – deshalb auch nur wenige Fotos, meine Begleitung fesselte mich mehr.

Die Votivkapelle bei Berg über der Uferstelle, wo sich unser Kini dersoffen hat.

Unten am Erinnerungskreuz für Ludwig II. im See haben kürzlich Segler ihr Boot befestigt, gemeinsame Schnappatmung aller Königstreuen, die Ermittlungen laufen.

Hinter Leoni stiegen wir hoch zum Bismarckturm Assenhausen – ich komme weiterhin nicht über diesen Auswuchs nationalistischen Fantums hinweg. Hier griff ich dann doch zu meinem Mückenspray (wohnt fest in meinem Wanderrucksack), in Waldstücken bekamen die Viecher offensichtlich großen Appetit auf mich.

Freudige Überraschung: Die Kapelle bei Sibichhausen wurde neu gebaut. Im April 2019 hatte sie Herrn Kaltmamsell und mir bei unserer ersten Erwanderung der Runde als Brotzeit-Unterstand gedient, 2022 hatte ein Sturm den nebenstehenden Baum draufgestoßen, die Kapelle war zerstört. Jetzt informierte eine große Metalltafel über eine sofort gestartete Spendenaktion, die den Neubau ermöglichte, im Juni 2024 wurde er gesegnet. Und hat wieder eine Form, die zum Ausruhen und Brotzeiten einlädt.

Pause und Brotzeit machten wir nach knapp drei Stunden Wanderung, ich hatte Äpfel und selbstgebackenes Brot dabei.

In Aufkirchen sahen wir bei Oskar Maria Graf vorbei, tauschten Erinnerungen an seinen wunderbaren Roman Das Leben meiner Mutter aus, der mir viele Einblicke in die Gegend und ihre Entwicklung vom Ende des 19. in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verschafft hatte.

Zurück in Starnberg kehrten wir im Tutzinger Hof ein. Das waren etwa 19 Kilometer in etwa fünfeinhalb Stunden mit einer Pause gewesen, ich fühlte mich angenehm durchbewegt

Auf das Brotzeitbrett hatte ich mich schon sehr gefreut – und wieder stellte sich heraus, dass hier der Obatzte serviert wird, der mir von allen am besten schmeckt (nächstes Mal bestelle ich vielleicht einfach nur eine große Portion davon). Dazu eine Halbe alkoholfreies Weißbier.

Auf den Zug zurück nach München mussten wir ein Viertelstündchen warten, schauten noch ein wenig auf den See (so lange das vom Bahnsteig aus geht, der Starnberger Bahnhof soll weg vom Seeufer verlegt werden, wohin und wie ist allerdings weiterhin offen).

Auch in München war es schwülwarm, wie schon Herr Kaltmamsell den Tag über war ich unschlüssig, wie ich die Wohnung temperieren sollte: Würden offene Fenster sie kühlen oder aufwärmen?

Abends holte ich noch das Dessert nach:

Zwetschgenkuchen mit Sahne. Dazu eine weitere Folge Mad Men, im Bett las ich Mortadelo y Filemón en Alemania, entzückt über die Detailliebe des zeichnerischen Humors.

Journal Sonntag, 6. Juni 2025 – Von Possenhofen nach Gauting ohne Hitze

Montag, 7. Juli 2025

Zu einem kühlen, bewölkten Morgen aufgewacht, Aussicht auf gutes Wanderwetter.

Der neue Rechner hatte seinen ersten Einsatz bei einem Balkonkaffee. Ich mag besonders das Tastaturgefühl, bei einigen gewohnten Websites und Anwendungen war mir jetzt allerdings die Schrift zu klein (Alter Schmalter), ich stellte sie größer.

Als Wanderstrecke hatte ich dieselbe wie vor zwei Wochen ausgesucht, nur in die Gegenrichtung: S-Bahn nach Possenhofen, Wanderung über Prinzenweg und an der Würm entlang bis Gauting. Auch wenn eher düsteres Wetter und Regenrisiko angekündigt waren, wählte ich kniekurze Hose und ärmelloses Shirt, sonnencremte mich gründlich. Auch die Wohnung machten wir vor Aufbruch zum Wandern eher hitzefest, sicher ist sicher.

Nach dem Start in Pöcking.

Am Prinzenweg.

Vergleich zu vor zwei Wochen.

Wir gingen im eher Düsteren nach Starnberg, wurden auf den letzten gut 15 Minuten sanft angetröpfelt, begegneten an der Uferpromenade jungen Leuten mit Badegepäck und Regenschirm.

Der italienische Kiosk am Starnberger Bahnhof versorgte uns mit Mittagscappuccino.

Weitergewandert über Percha, Leutstettener Moos, manchmal in Sonne, meist unter Wolken, immer in perfekter Temperatur und mit schmerzfreiem Körper. Das Wetter sorgte auch für nicht allzu viel Radlverkehr auf der Strecke.

Gespräche über Pensionspläne, Augsburger Zeiten, über Quanten und Entropie, über sinnvollen Geschichtsunterricht.

Flora incognita identifizierte die Pflanze als Gewöhnliche Telekie, wieder ein schöner Frauenname.

Blick zurück übers Leutstettener Moos zum Starnberger See.

Brotzeit an der Würm kurz nach 14 Uhr, es gab Pfirsiche und Walnussbrot.

Am Gautinger Bahnhof trafen wir nach knapp fünf Stunden und knapp 20 Kilometern ein, warteten ein Viertelstündchen lesend auf die nächste S-Bahn zurück.

Beeindruckende Schüler*innenkunst am Gautinger S-Bahnhof.

Auch in München war es schön kühl, ich las auf dem Balkon liegengebliebene SZ-Magazine auf.

Yoga-Gymnastik, Brotzeitvorbereitung, dann servierte Herr Kaltmamsell Kartoffeln und Brokkoli aus Ernteanteil mit Hollandaise (er wollte üben, nachdem ihm die letzten Versuche misslungen waren – diesmal perfekte Hollandaise und köstlich). Nachtisch italienische Kekse.

Ich begann Fenster zu schließen, weil es jetzt unangenehm kalt reinkam – die Hitzewelle ist wirklich vorerst gebrochen.

§

Zur Versüßung des Arbeitswochenanfangs: Niedliche Fledermaus.