Wandern

Journal Sonntag, 31. November 2021 – Isarhochweg über Wolfratshausen

Montag, 1. November 2021

Schon am Samstag hatte mich Twitter verwirrt: Leute führten einander ihre Halloween-Kostümierung und -Deko vor, berichteten von Verhaltensanweisungen zum Trick-or-Treat ihrer Kinder, zeigten die Süßigkeiten für die ab jetzt klingelnden Nachbarschaftskinder. Gestern Morgen fragte ich dann doch mal explizit, ob Halloween nicht die Nacht auf 1. November, also auf Montag sei? Und erfuhr, dass das inzwischen nicht mehr so eng gesehen wird, vor allem in Bundesländern, die nicht wie Bayern praktischerweise den 1. November als Feiertag haben. Halloween ist jetzt also grob die Zeit vor Allerheiligen.

Am Vorabend hatte sich der Plan geformt, den mit herrlichem Wetter angekündigten Sonntag für eine kleine Wanderung zu nutzen: Rundwanderweg Isarhochufer Icking-Wolfratshausen. Ich freute mich bei jedem nächtlichen Aufwachen an der Aussicht darauf.

Nach Korrektur aller Uhren im Haus (jetzt haben wir wieder Normal-, genannt Winterzeit), Bloggen und Morgenkaffee war ich früh startklar, doch weil am Zielort noch 3 Grad angezeigt wurde, wartete ich bis zehn.

Herrliche Aussichten schon auf der S-Bahn-Fahrt nach Icking. Beim Ankommen zeigte sich, dass außer mir noch ein paar andere Menschen genau diese Route gehen wollten. Auch sonst war überraschend viel los auf den Wegen – vermutlich haben einige sonst weiter reisende Leute in den pandemischen Ausgangsbeschränkungen die Wanderungen und Spaziergänge für sich entdeckt, die davor eher eine Sache von Öffi-Langweilerinnen wie mir waren. Das gönne ich selbstverständlich jedem und jeder, doch es verhinderte schön entspanntes Wandern mit gelassenen Sensoren in die Umgebung, das mich zur Ruhe gebracht hätte. Ich genoss die wundervollen Ausblicke und das herrliche Licht durchaus, absolvierte aber eher eine Sporteinheit. Die ohnehin kürzer geriet als erwartet, schon nach drei Stunden war ich trotz ausgiebiger Frühstückspause zurück am Ickinger S-Bahnhof.

Erster Abschnitt hinter Icking.

Hoch nach Schlederloh.

Schlederloh.

Zusammenfluss von Loisach und Isar.

Blick zurück über Dorfen.

Abstieg nach Wolfratshausen.

Wolfratshausen.

Frühstückspause im Riemerschmidpark mit Aussicht, Apfel und Pumpernickel. Zurück entlang der Isar, mit gelegentlichem Ausweichen in die Büsche bei entgegenkommenden Fahrrädern.

In Icking wartete ich dann ziemlich lang auf die Rückfahrt, es gab Probleme auf der S-Bahn-Stammstrecke. Aber ich hatte für genau diesen Fall neben Wasser auch große Teile der Wochenend-Süddeutschen dabei und las halt 40 Minuten in der Sonne. (Eine der weniger thematisierten Alterserscheinungen: Alte Leute wie ich, meiner Beobachtung nach vor allem Frauen, sind für immer mehr Fälle ausgerüstet unterwegs. Vielleicht erinnern Sie sich an die Erfrischungstücher Ihrer Oma, an ihre Hustenbonbons, Taschentücher, zusammengefalteten Plastik-Kopftücher, Nagelfeile, Pflaster und viele andere praktischen Utensilien, die sie scheinbar jederzeit aus ihrer Handtasche zauberte. Stück für Stück werde ich so eine Oma, auch ohne Enkelkinder.)

Den Rest der Zeitung las ich daheim im Sessel mit Ausblick durch die großen Wohnzimmerfenster auf den sonnigen, bunten Nußbaumpark.

Ansetzen des Feiertag-Kuchens: Zur Rückkehr von Herrn Kaltmamsell sollte es am Montag Zitronenschnecken geben. Allerdings stellte ich den Hefeteig wie immer her, mir wollte kein technischer Nutzen eines Vorab-Rührens der Butter oder eines Verklepperns der Eier einfallen.

Abendessen war eine Portion scharfe Sahnelinsen vom Vortag mit Bauernwurscht, zum Nachtisch gab es Eierlikör und Schokolade.

Schon am Vorabend hatte ich Gabriele Tergit, Effingers ausgelesen (hatte mir sehr gut gefallen, mal sehen, ob ich Lust auf Ausführlicheres habe), gestern fing ich die Graphic Novel Parallel von Matthias Lehmann an.

§

Fakten und Zusammenhänge sind wichtig, Christina Berndt fasst für die Süddeutsche zusammen:
“Weshalb die Zahl der Impfdurchbrüche steigt”.

Journal Sonntag, 27. Juni 2021 – Sonnige Wanderung von Kirchseeon nach Aying

Montag, 28. Juni 2021

Bis sieben geschlafen, das machte die unruhige Phase mittendrin wieder wett.

Der Himmel war morgens bedeckt, die Temperatur perfekt für das gestrige Vorhaben: Wandern von Kirchseeon nach Aying.

Während Herr Kaltmamsell den Vormittag noch zum Arbeiten nutzte, trank ich meinen Morgenkaffee auf dem Balkon und bloggte.

Foto: Herr Kaltmamsell.

Sogar für eine Runde Yoga war noch Zeit, bevor ich mich wanderfertig machte. Zum Frühstück gab’s ein Stück Mangold-Coca vom Vorabend und eine Banane.

Mittlerweile war es auch sonnig geworden.

Die S-Bahn-Fahrt nach Kirchseeon wurde zu einem kleinen Abenteuer: Im U-Bahnhof Stachus lasen wir die Anzeige, dass unsere S6 Richtung Ebersberg erst ab Ostbahnhof fahren würde. Kein Problem, an den Ostbahnhof fahren reichlich Bahnen. Dort war die gewünschte S6 auch für in wenigen Minuten angezeigt. Doch eine Durchsage schickte uns an ein entferntes Gleis (“heute abweichend”). Mit zahlreichen anderen Passagieren hasteten wir also an dieses Gleis – und standen eine Weile ratlos herum, denn es kam keine S-Bahn, auf der Anzeige stand lediglich eine Regionalbahn. Ich lief zurück zum vorherigen Gleis und erfuhr vom Durchsage-Herrn (Kabuff mit Gegensprechanlage), dass die nächste S6 nun doch am angekündigten Gleis abfahren würde, es aber an dem entlegenen Gleis keine Lautsprecher für Durchsagen gebe. Also rannte ich zurück dorthin und machte die Durchsage persönlich. Und zwar mehrmals bei an verschiedenen Stellen des Bahnsteigs, damit auch alle die Info mitbekamen. Ab dann verlief die Fahrt aber reibungslos.

Das Wandern war sehr schön, auch wenn ich die Strecke schattiger in Erinnerung hatte. Es war erfreulich wenig los, und mit den Radler*innen arrangierten wir uns größtenteils gut.

Bei Deinhofen wurde schon geerntet (was nur?). In dieser Gegend ließen wir auch mehrfach schicke Traktoren mit Anhänger vorbei, Landwirtschaft kennt halt kein Wochenende.

Teich mit Seerosen und deutlich hörbaren Fröschen. Wer hat bloß festgelegt, dass die im Deutschen “quak” sagen? Das ist sehr weit weg vom tatsächlichen “räbb”.

Villa am Rand von Moosach, die ich jedesmal bewundere und im Geiste mit Schriftstellerinnen und Malern im 19. Jahrhundert bevölkere.

Problematisch war auch dieses Mal wieder der Abschnitt zwischen Oberseeon (gleich hinterm Steinsee, an dem gestern eine Menge Badevolk war) und Schlacht: Wir haben immer noch keinen wirklich guten Weg gefunden (der in der ursprünglichen Wanderbeschreibung existiert nicht mehr), diesmal kamen wir südlich von Schlacht aus dem Wald auf eine Landstraße, die wir ein ganzes Stück entlang gehen mussten. In Schlacht rasteten wir.

Mit dieser Aussicht.

Aber wie’s halt ist, wenn man Pause beschließt, “sobald die nächste Bank kommt”: Es kommt keine. Diese war die erste 20 Minuten nach Pausenbeschluss.

Bei Kastenseeon hatte ich 2013 meine ersten Belted Galloways gesehen. Mittlerweile scheint dieser Hof einen ganzen Rinderzoo zu haben, selbst ich Laie konnte fünf Rassen unterscheiden.

Ich bin eine lästige Wanderbegleitung: Nicht nur bleibe ich ständig stehen um zu fotografieren, sondern auch, um Beeren zu naschen (gestern erwischte ich eine reife Walderdbeere) und an Rosen zu schnuppern. Doch gestern war ich um letzteres froh: Die obige Rose roch exakt wie das allererste Parfum, das ich je besaß, ein Fläschchen Rosenparfum, das mir meine Oma schenkte. Ich war noch so klein, dass ich nie auf die Idee kam, mich damit zu betupfen (das taten nur Große), schraubte aber immer wieder das Fläschchen auf, um an dem wundervollen Duft zu schnuppern.

Das Familienbad Kastenseeoner See war sehr voll – zumindest die Liegewiesen, im See selbst sah ich nur wenige Köpfe. Bei Lindach blieben wir länger stehen: Über einer Wiese, die gerade gemäht wurde, kreisten fünf mächtige Greifvögel.

Nach knapp fünf Stunden ohne große Mühe erreichten wir Aying, schön wie immer. Nach den derzeit üblichen Pandemie-Formalien ließen wir uns im Biergarten nieder und bestellten die Brotzeitteller.

Übersichtlicher als früher (siehe hier unten, Pressack traut sich wohl niemand mehr), dafür ohne Überfressung zu schaffen. Dazu für mich eine Apfelschorle und eine Halbe Dunkles Bier.

Rückreise mit der S-Bahn ohne Abenteuer, ich freute mich darauf, die sommerliche Wandermischung aus Schweiß, Dreck und Sonnencreme abzuduschen.

§

Nicht nur die bayerischen schönen Landschaften ächzen unter rücksichtslosem Inland-Tourismus (von dem auf der gestrigen Wanderung zahlreiche selbstgemachte Schilder zeugten, mit denen Anwohner wildes Parken, Müllhaufen und scheißende Hunde fernzuhalten versuchten, an Stalleingängen sah ich rot-weißes Absperrband – was IST mit den Leuten?!). Mein favorite shepherd James Rebanks schreibt im Guardian über die Zustände im englischen Lake District:
“Camper vans, crowds, hanging dog poo bags: can the British countryside cope this summer?”

Like many who live in tourist honeypots, we have long bemoaned the impact of visitors. We grumble about their driving, their parking, and their aimless milling about in inconvenient places. During lockdown, people felt that they had got their community back. No procession of tourists past their front door with Alpine walking sticks and enough mountaineering kit for an assault on Everest. No folks peering into their home. No camper vans blocking their drive, or knocking their wing mirrors off in the narrow lanes. No noisy crowds on the village green, eating ice-creams. No idiots jostling elderly residents with their backpacks in the post office. No dog mess hanging from trees in “recyclable” plastic bags, waiting for the dog-poo fairies to bin it. No one urinating on their drive late at night, heading back to B&Bs from the pub. And no dickheads using satnav to climb mountains, then having to call out (and risk the lives of) mountain rescue volunteers when they get stuck on rocky crags in the freezing rain wearing only T-shirts and trainers. There was a sense of relief to be done with all those hassles for a while.

(…)

Places of beauty are always “contested”; they have layers of use and meaning to a whole range of people. With so many demands on a landscape, perhaps we need to think more creatively about how to manage those tensions. Charging for entry and using technologies such as number-plate recognition could make things easier; we could use the proceeds to help manage the area, supporting local communities and traditional farming, repairing footpaths, and undertaking ambitious environmental restoration projects.

Als Nutzerin von teilweise spektakulär angelegten und ehrenamtlich gepflegten Wanderstrecken in ganz Europa hätte ich überhaupt nichts gegen eine Gebühr (siehe Kurtaxe?).

Journal Pfingstsonntag, 23. Mai 2021 – Würmspaziergang Gauting nach Starnberg

Montag, 24. Mai 2021

Ausgeschlafen, zu Regen aufgewacht.

Meine persönliche Innenausstatterin, Mutter, hatte mir aktuelle Ausgaben der Zeitschrift Schöner Wohnen zur Inspiration mitgebracht, die sah ich durch (ewige Liebe für deren Podcast-Titel Sofa So Good, genau mein Humor). Das mit der Inspiration funktioniert manchmal tatsächlich: Die haben ihren Holzschemel ins Bad gestellt? Gute Idee, der steht hier eh etwas heimatlos rum, brauche ich mich nicht immer auf den kalten Badewannenrand setzen.

Die großen Einrichtungsideen, die hier präsentiert werden, scheitern aber fast durchgehend an meinen superspießigen Praxis-Einwänden. Beispiel freistehende Badewannen: Sehe ich seit vielen Jahren in den örtlichen Bädergeschäften, schauen sensationell toll aus. Und doch frage ich mich halt: Wo lege ich da meine Seife ab? (Nachfrage bei Twitter ergab: Hocker danebenstellen.) Und mein Badetuch? Wie dusche ich mich abschließend ab, ohne das Bad unter Wasser zu setzen? Oder die echte Wohnung in Stockholm, von einer Frau bewohnt, die von 350 qm Wohnfläche (Familienhaus) auf 49 qm (Single-Innenstadtwohnung) reduzierte: Die Kleidungsnische mit den sieben Kleidern und den fünf Blazern ist ja nett (gelernt: “begehbarer Kleiderschrank” heißt es, wenn um die Kleiderstange kein Schrank ist), aber wo ist die restliche Kleidung? Die Unterwäsche, die Socken, die Pullis, die Sportkleidung, die Schlafanzüge? Wenn ich vor einem Fotoshooting 80 Prozent meines Zeugs aus der Wohnung entfernte und ins Treppenhaus stellte, könnte ich wahrscheinlich auch ästhetische Aufnahmen machen.

Spannend finde ich auch immer die Ausstattungsideen für Miniwohnungen – aber der Schreiner-Maßeinbau für das 29-qm-Apartment in Berlin Schöneberg kostet sicher so viel, dass das drei Jahre die Mietdifferenz zu einer 50-qm-Wohnung begleicht.

Allerdings höre ich mich bei diesem Thema an wie meine Mutter, die beim Anblick von Haute-Couture-Modeschauen kritisierte: “Das kann doch niemand tragen!” Die Einrichtungsideen in Einrichtungszeitschriften sind wahrscheinlich ebenso wenig fürs echte Leben gedacht wie Haute Couture, sondern einfach Kunst.

Plan war gestern, mit Herrn Kaltmamsell den Rest der Würm-Wanderung Pasing-Starnberg zu spazieren, also zwölf Kilometer von Gauting nach Starnberg. Die Wetterradare sagten Regen-Ende für Mittag voraus, also planten wir entsprechend.

Zum Frühstück gab es den Rest Linsen vom Vorabend, außerdem Erdbeeren und Orange mit Schafjoghurt. Um halb zwölf regnete es noch heftig, unterbrochen von einem Hagelschauer. Doch um halb eins war Ruhe, und von der S-Bahn nach Gauting aus sahen wir bereits bayerisch blau-weißen Himmel. Ich mag es, wenn das Wetter sich so angenehm an die Vorhersage hält.

Erste Sensation beim Verlassen der Ortsgrenze Gauting: Auf einem entsprechenden Sportplatz trainierten Buben Baseball, an verschiedenen Stationen und so richtig wie im Fernsehen (Nachrecherche ergab: Das waren die Gauting Indians). (AbEr DIe dEUtScHe lEiTKuLtUr!) (Spass.)

Das Würmtal und vor allem die Würm selbst sind wirklich ungemein malerisch. Wir versuchten so oft wie möglich direkt am Bach zu gehen, egal wie matschig. Herr Kaltmamsell lotste uns aber auch den Schlossberg hinauf: Mühsam, denn Mountainbike-Reifen hatten den Pfad in einen einzigen Morast verwandelt.

Immer wieder kamen wir durch sonnige Abschnitte mit Wiesen und energischem Grillenzirpen, im letzten Drittel genossen wir herrliche Ausblicke. Weitere Attraktion: Die Villa Rustica bei Leutstetten, Fundamente eines römischen Gutshofs, der etwa im 2. Jahrhundert n.Chr. aufgegeben wurde. Schön auch der Abschnitt über Holzplankenwege durchs Leutstettener Moos. Am Himmel Mauersegler und Schwalben.

Viele, viele Radler*innen, der Weg ist aber auch als Radwanderweg markiert. Ein Wanderurlaub im Naturpark Bayerischer Wald wurde vor allem deshalb attraktiv, weil dort Radeln wohl nur auf eigens gekennzeichneten Wegen erlaubt ist. Wenn sich daran gehalten wird (lassen Sie mir vorerst meine Illusionen, die allen sonstigen Erfahrungen widersprechen), könnte dort gedankenversunkenes Wandern ohne ständiges Lauschen auf Fahrradgeräusche und Blicke über die Schulter möglich sein.

Die Starnberger Uferpromenade war gut besucht, inklusive der jetzt wieder geöffneten Außenbereiche von Cafés und Restaurants.

Crossover Hipster-Holdrio. Die Wirtschaft sah dann tatsächlich exakt so aus und hörte sich so an, wie das Design des Schildes verhieß: Biergarten ausgestattet mit Sperrmüll, Motown-Musikbeschallung, Speisen und Getränke aus Streetfood-Wagen. Alles in der Typografie und der Beschriftungstechnik angelegt.

Einbettl.

Zurück daheim begrüßten uns die Rosentagsrosen als Leuchtobjekt.

Ich füllte eine Waschmaschinenladung und gönnte mir eine Yoga-Folge mit viel angenehmem Dehnen (die neuartigen Rückenschmerzen der vergangenen Monate wollen aber einfach nicht weggehen, ich werde dann doch Physiotherapie bemühen müssen), Herr Kaltmamsell übernahm die Küche.

Es gab nochmal Maibowle, als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell englischen Hackbraten mit Kartoffel-Weißkraut-Stampf. Nachtisch reichlich Schokolade.

Journal Samstag, 8. Mai 2021 – Anwandern von Pasing nach Gauting

Sonntag, 9. Mai 2021

Gut und lang geschlafen, zu überzeugendem Sonnenschein aufgewacht (und einer sehr lauten Mönchsgrasmücke).

Ich holte aus dem Keller die Wanderstiefel, auch die letztes Jahr schweren Herzens wegen Hüftweh eingelagerten Wanderhosen – die ich nicht nur sofort fand (->System in der scheinbaren Unordnung), sondern die auch noch problemlos passten (ich glaube aber, dass nicht-dünne Menschen da eine größere Toleranzspanne haben, bei dünnen kneift oder schlackert schneller was).

Wieder ging ich zum Corona-Schnelltest in die Sendlinger Straße (letzte Woche ausgefallen wegen Feiertag), beim Verlassen des Hauses sah ich eine singende Grasmücke im Baum. In den 15 Minuten Warten auf Testergebnis hollte ich Frühstückssemmeln und Wanderbrotzeit beim Zöttl am Alten Peter.

Daheim bemerkte ich, dass meine ledernen Wanderstiefel nach über anderthalb Jahren ohne Nutzung dringend gefettet werden mussten – das holte ich schnell nach. Zum Frühstück gab es ein Laufenzöpferl und eine Seele mit Butter und Orangenmarmelade.

Es war schon Mittag, als wir eine Bahn nach Pasing nahmen (wochenends ist die S-Bahn wegen Stammstreckensperrung kompliziert); bei unserem letzten Spaziergang dort die Würm entlang hatten wir gesehen, dass es einen Radweg nach Starnberg gibt, ebenfalls die Würm entlang, dessen Länge auf den Schildern mit 21 Kilometern angeben war: Den wollten wir als erste Wanderung nach Hüft-OP und als erste Wanderung der Saison gehen, so richtig mit Rucksack.

Die Strecke war auch sehr schön, Herr Kaltmamsell fand immer wieder per Karte bachnahe Pfade als Wander-Alternativen zu den Radl-Abschnitten, die Hauptstraßen entlanggingen. Es waren deutlich weniger Menschen unterwegs als bei unserem Würm-Spaziergang vor ein paar Wochen. Kurz hinter Pasing sah ich die ersten Mauersegler des Jahres, an der Würm gab es unter anderem immer wieder Kanadagänse, manche mit ultraniedlichen Küken.

Die Würm wurde von großen und kleinen Anwohnenden bespielt: Ab Planegg sahen wir auffallend viele Kinder in kleinen Gruppen, die am Ufer und im seichten Wasser des Bachs spielten, als Spielzeug reichten Äste oder Plastiktüten, ab frühem Grundschulalter sogar ohne Erwachsenenaufsicht (draußen unbeaufsichtigt spielende Kinder hatte ich schon sehr lange nicht mehr gesehen), Jugendliche saßen zu zweit, zu dritt im Ufergras und plauderten, einzelne sahen mit mächtigen Kopfhörern über den Ohren ins glitzernde Wasser – ich stelle es mir großartig vor, diesen bezaubernden Bach als Teil des Großwerdens zu haben.

Bis Starnberg kamen wir aber nicht: Nach fast vier Stunden mit einer Pause sahen wir ein Schild, auf dem die Reststrecke nach Starnberg mit zwölf Kilometern angegeben wurde – das hätte ich allen Ernstes nicht geschafft. Auch wenn ich bislang post-operativ maximal zweieinhalb Stunden am Stück gegangen war, überraschte mich, dass ich nicht einfach wie früher weitere Stunden leicht abwanderte. (Will heißen: Geschafft hätte ich das schon irgendwie, wäre aber auf unangenehme Weise fix und fertig gewesen.) Der Bewegungstracker meines Smartphones hatte bis dahin ja auch nicht die rechnerischen neun, sondern 16 Kilometer Wanderung gemessen.

In Gauting beendeten wir also die Wanderung und gingen zum S-Bahnhof. Das letzte Stück Gauting-Starnberg sehen wir uns dann mal als Spaziergang an, laut Karte muss es besonders schön sein.

Daheim versorgte ich erst mal eine Blase an der Innenseite der linke großen Zehe (?) und machte ich mich dann an die Anfertigung von Zitronenschnecken (nächstes Mal höchstens 200 ml Buttermilch, ich kippte sehr viel Mehl nach, bis ich keinen Rührteig mehr in der Schüssel hatte, sondern Knetteig), stellte sie backfertig in der Backform in den Kühlschrank, gebacken werden sie erst Sonntagmorgen. Zum Abendessen gab es wie geplant die Reste vom Freitagabend, auch aufgewärmt sehr gut.

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Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim (wohlgemerkt: keine Politikerin, keine feministische Aktivistin, einfach eine Wissenschaftsjournalistin) wird so massiv angefeindet und bedroht, dass sie nicht mehr ohne Schutzmaßnahmen das Haus verlässt. Darüber und über Faktenleugner ein Interview mit ihr in der Zeit:
“‘Wissenschaft ist keine Demokratie'”.

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In Arztpraxen bleibt Impfstoff übrig, gleichzeitig suchen manche verzweifelt nach einer möglichst schnellen Impfgelegenheit: Diese Online-Plattform möchte beides unkompliziert und unbürokratisch zusammenbringen.
sofort-impfen.de

Journal Samstag, 6. April 2019 – Wandern am Starnberger See um Berg

Sonntag, 7. April 2019

Von langer Hand hatte Herr Kaltmamsell einen Wochenendtag von Arbeit freigeschaufelt, damit wir endlich mal wieder wandern konnten. Ich bat um den Samstag, denn an Samstagen ist erfahrungsgemäß deutlich weniger auf den von München gut erreichbaren Wanderstrecken los als an Sonntagen. (Die Größe meiner Erleichterung, dass die Wanderhose mindestens so bequem saß wie vor einem halben Jahr, war mir peinlich, aber halt unausrottbar.)

Ich hatte länglich geschlafen, was auch deshalb gut war, weil mich Beinschmerzen lang nicht hatten einschlafen lassen. Benebelt fühlte ich mich dennoch.

Kurz vor zwölf nahmen wir eine S-Bahn hinaus nach Starnberg: Ich hatte eine Runde um Berg herausgesucht. Seit Oskar Maria Grafs Das Leben meiner Mutter hatte ich mir die Gegend ansehen wollten. Wegbeschreibung gab es keine, doch die GPS-Karte auf dem Smartphone reichte – wir waren ja nicht in Wildnis unterwegs.

In der Bahn frühstückten wir Laugenzopf und Nussschnecke, bei Ankunft war das Wetter sonnig, auch wenn über dem See Dunst hing. Mir fiel auf, dass ich noch nie am Bahnhof den Weg links um den See eingeschlagen hatte.

Wir kamen an vielen hübschen Häusern vorbei, an schönen Ortsnamen wie Percha und Leoni. Letzteres ist bereits ein Ortsteil von Berg; da der Name für die Gegend doch recht ungewöhnlich ist, recherchierte Herr Kaltmamsell dessen Ursprung. Und siehe da: Anfang des 19. Jahrhunderts hieß die Siedlung noch Assenbuch. An einer Stelle, an der das Ufer im Bogen in den See ragte (der damals noch Würmsee hieß), ließ Staatsrat Franz von Krenner ab 1810 eine Villa errichten, die er nach seinem frühen Tod dem verehrten Bassisten der königlichen Hofoper Giuseppe Leoni vermachte. Leoni baute die Villa in eine Pension mit Gasthaus um.

Leoni stellte sich als talentierter Gastwirt heraus und seine Frau Rosina war eine bemerkenswerte Köchin, der ihr Mann wohl die hohe Kunst der italienischen Küche beigebracht hatte. Bald kamen viele Gäste aus der Residenzstadt München angereist um am Starnberger See zu speisen.

Durch den technischen Fortschritt der Zeit (Kutschen erreichten Geschwindigkeiten von bis zu 4 Stundenkilometern!) war der Ort ja von München aus mittlerweile in gerade mal fünf Stunden zu erreichen.

Es verging nicht viel Zeit bis man im allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr in die Assenhausener Puech oder nach Assenbuch fuhr um erstklassig zu essen, sondern nach „Leonihausen“ oder einfach und kurz „Zum Leoni“. Beide Namen waren eine Ehrerbietung an das Wirtepaar und das hervorragende Essen, welches serviert wurde. Der Name „Zum Leoni“ setzte sich in den Köpfen der Gäste und der Einheimischen derart fest, dass der Ort viele Jahre später auch offiziell in Leoni umbenannt wurde. So wurde aus der Assenhausener Puech und Assenbuch Leoni.

Orte, die nach Wirtschaften benannt sind – das gefällt mir, siehe Münchner Stachus.

Essen planten wir erst am Schluss unserer Runde, am Ufer bis Leoni waren wir vor allem mit schönen Ausblicken und Mückenschwärmen beschäftigt. Wir erinnerten einander mehrfach daran, dass im derzeitigen Insektensterben jeder Mückenschwarm Grund zur Freude ist, mussten uns aber schon mit Anstrengung und viel Gefuchtel zu dieser Freude zwingen.

Wir wanderten vergnügt, besichtigten die Votivkapelle und die Stelle, an der König Ludwig II. 1886 tot aufgefunden wurde, den mächtigen Bismarckturm (?!) überm See, spazierten gemütlich durch Dörfer, grüßten Pferde, Laufenten, Stare, Spatzen, Reiher und viele, viele blühende Bäume. Die Temperaturen waren hoch genug für kurze Ärmel, nur auf windigen Anhöhen griff ich zur Jacke. Selbst lief ich locker und nur am Ende mit Schmerzen, Herrn Kaltmamsell, der nicht ganz so gut im Training ist wie ich, schnaufte an der einen oder anderen Stelle ein bisschen mehr.

Vergangenes Jahr hatte ich daran gedacht, dieses Jahr schon wieder nicht: Auch im April erzeugt Sonne Sonnenbrand. Ungecremt leuchtete die Haut abends im Ausschnitt rot.

Querfeldein-Radelnde kamen uns nur selten ins Gehege, das lag aber sehr wahrscheinlich an der Jahreszeit: Im Sommer würde ich die größten Teile der Runde eher nicht gehen wollen, sie sehen nach Radlerrennbahn aus.

Für die abschließende Brotzeit steuerten wir nach gemessenen 24 Kilometern und fünf Stunden Gehzeit mit zwei Pausen in Starnberg den Tutzinger Hof an, den wir in sehr guter Erinnerung hatten und den wir ob seiner vielfältigen Speisenkarte von vegan bis fleischig deftig und ob seiner aufmerksamen Umkümmerung wieder empfehlen können.

ÖPNV-Starren.

Mückenschwärme bedeuten wohl auch: Festmahl für die Spinnen in Leoni.

Votivkapelle St. Ludwig

Bismarckturm in Assenhausen. Jetzt weiß ich also, dass Bismarck in München eine riesige Fangemeinde hatte, zu der unter anderem Franz von Lenbach gehörte.

Pause in einer Kapelle hinter Aufhausen. Ihre Schradligkeit und Vernachlässigung erzählte mir mehr von Volksfrömmigkeit im Lauf der Zeiten, als es jede der vielen prächtig aufgerüschten Kapellen im Oberbayern könnten.

Klosteranlage Aufkirchen.

Oskar Maria Graf-Denkmal vor der Oskar Maria Graf-Volksschule in Aufkirchen.

Auf dem Borttzeitbrettl für zwei war die Sensation der Obatzte, den ich hiermit zum besten (für meinen Geschmack) jemals erkläre: Grob stückig ganz offensichtlich selbst gebatzt, frisch und fast schon leicht, fein abgeschmeckt. Neuigkeit seit unserem letzten Besuch hier: für jeden ein Minilaib frisch gebackenes Sauerteigbrot.

Am Nebentisch ein höchstwahrscheinlich erstes Date. Beide Parteien ausgesprochen wohlwollend auf der Suche nach einem gemeinsamen Thema. Begeisterte Erzählungen von Vorlieben bei Film und Fernsehen – die das Gegenüber jeweils nicht kannte, dennoch versuchte, die Begeisterung ernst zu nehmen und nachzuvollziehen. Austausch von Koordinaten wie Herkunft und Berufsweg. Ich habe sowas ja nie gemacht, nehme aber an, solche Dates sind immer so anstrengend?

Gemütliche Rückfahrt mit der S-Bahn und schönen Anblicken vor dem Fenster, daheim Wäscheaufhängen, Ansetzen von Brotteig, Internetlesen.

Journal Mittwoch, 15. August 2018 – Mariä-Himmelfahrts-Wandern von Kirchseeon nach Aying

Donnerstag, 16. August 2018

Ausgeschlafen bis halb acht, dennoch müde.
Vormittags verschickten wir den ersten Termineinmerker für das große Fest nächstes Jahr an die E-Mail-Kontakte – ich freute mich, wie wenig Bounces dabei waren.

Beim Wimmer holte ich Semmeln für ein mittägliches Frühstück, bevor wir den lange geplanten Wandertag antraten – das Wetter war mit gemischten Wolken und mit Temperaturen in den mittleren Zwanzigern genau richtig dafür.

Wir fuhren mit der S-Bahn nach Kirchseeon, um nach Aying zu gehen (haben wir schon einige Male gemacht).

Aufregendes beim Warten auf die U-Bahn am Sendlinger Tor; der Bahnhof wird ja derzeit und noch eine ganze Weile renoviert: Markierungen der Risse und Löcher auf der Wand gegenüber dem Bahnsteig.

Doch zurück zur eigentlichen Wanderung. Neu war diesmal, dass auf dem einstigen Wanderweg sehr viele Radler unterwegs waren, die Beschilderung ist inzwischen sogar ausschließlich auf Radler ausgelegt. Etwa die Hälfte der Fahrzeuge war motorisiert. Hoffentlich gibt es irgendwann überhaupt noch echte Wanderwege.

Besondere Vorkommnisse: In einem Waldstück blieb Herr Kaltmamsell vor mir abrupt stehen und deutete vor sich: “Die bewegt sich noch!” Eine Kröte lag da auf dem matschigen, moorigen Weg in einer Fahrradspur auf dem Rücken: Wir drehten sie mit einem Stecken um, gossen Wasser dabenen. Sie bewegte sich ein wenig, sah aber immer noch seltsam verknotet aus. Ich hob sie auf die Seite neben dem Weg, damit sie nicht überfahren wurde – und war erstaunt, wie weich sie sich anfühlte.

Besonders fit waren auch wir gestern nicht. Meine Schmerzen hielten sich zwar in Grenzen, doch meine Beine waren sehr schwer und ich atmete nicht so leicht wie sonst.

Unser Ziel nach fast fünf Stunden: Aying.

Der Biergarten in Aying ist von einer so entwaffnenden Idyllizität, dass ihr auch noch so viele Radlwanderer in voller Kunststoffmontur nichts anhaben können.

Das Bier war hervorragend und stand auf Bierfilzln für Geisteswissenschaftlerinnen.

Herr Kaltmamsell bestellte nur ein wenig Leberkäs mit Spiegelei und Kartoffelsalat (gilt in Bayern als Snack), um mir bei meinem Brotzeitbrettl helfen zu können (geht in Bayern mit all dem Käse und Gemüse als vegetarische Mahlzeit durch).

Ich teilte allerdings nicht nur mit ihm, sondern auch mit einer besonders emsigen Wespe.

An einem Nebentisch größere Kinder, die mir aus dem Augenwinkel auffielen, weil sie nicht mit Messer und Gabel umgehen konnten, sondern beides geradezu körperverletzlich mit der Faust bedienten. Ganz im Gegensatz zu dem ziemlich kleinen Kind an einem anderen Nachbartisch, das vergnügt und manierlich seinen Kaiserschmarrn mit Apfelmus gabelte. (Keine Zivilisationsuntergangszenarien hier: Auch in meiner Kindheit gab es Kinder, die nicht mit Besteck essen konnten.)

Auf dem Weg zum Ayinger Bahnhof entdeckten wir noch ein Marterl – ich liebe diese bayerischen Totengedenken mit Geschichte.

Zurück in München am heimischen U-Bahnhof noch schnell einen Pokémon-Raid mitgenommen, am nächtlichen Vergnügen im Nussbaumpark vorbeispaziert: Es gab gerade sehr schöne Live-Musik.

Das wildesten Erlebnis des Tages hatten wir dann direkt vor unserer Haustür: Ein Sperber kam unter einem parkenden Auto hervor, wo er gerade eine Maus geschlagen hatte. Er flog damit auf eine Brüstung um einen der Bauarbeitercontainer der benachbarten Baustelle und begann zu fressen.

§

George Monbiot schreibt im Guardian darüber, wie er ein Foto vom Strand in Brighton aus dem Jahr 1976 sah und höchst verblüfft bemerkte, wie wenige Menschen darauf dick waren. Er macht sich auf die Suche nach den Gründen – und widerlegt die meisten bisherigen Erklärungen.
“We’re in a new age of obesity. How did it happen? You’d be surprised”.

via @vinoroma

Journal Mittwoch, 1. November 2017 – Abwandern

Donnerstag, 2. November 2017

Letztes Ferienausschlafen, nach Kaffee und Bloggen eine Runde Krafttraining. Als ich hantelhebend aus dem Fenster sah, fiel mein Blick auf zwei Elstern – die hatten wir bislang noch nie in der Nähe. Ich mag Elstern und weiß, dass sie unter den ohnehin schlauen Krähenvögeln die schlauesten sind, aber ich weiß auch, dass sie sehr, sehr laut sind. Deshalb haben sie mir vor dem eigenen Fenster bislang auch kein bisschen gefehlt.

Eine Stunde früher als angekündigt kam Herr Kaltmamsell vom Rollenspielen zurück, unversehrt. Wie vereinbart brachen wir mittags zu einer letzten Wanderrunde auf: Wir nahmen die S-Bahn nach Wolfratshausen, wanderten an der Loisach entlang nach Icking und den Hochweg zurück nach Wolfratshausen.

In Wolfratshausen kehrten wir in der letzten Abenddämmerung beim Humplbräu ein.

Ende meiner Allerheiligenferien.

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Stirling-Architekturpreis für den Hastings Pier und damit den Mut des Weglassens:
“Walking tall: Hastings pier wins the Stirling architecture prize”.

§

Die New York Times über Sade Adu:
“Sade’s Quiet Storm of Cool”.

Ich freute mich über die Erinnerung an Sades personifizierte Eleganz – sogar in den Cowboystiefeln, die sie beim SNL-Auftritt trägt, und die mich immer an meine damalige Freundin G. erinnern. Sie und Alison Moyet waren die Frauen, die ich in meiner 80er-Jugend am schönsten fand – sie sahen einfach so sehr wie sie selbst aus. (Nicht meine Style-Vorbilder, gekleidet habe ich mich ganz anders – ich sah ja auch ganz anders aus.)