Journal Dienstag, 20. September 2022 – San Sebastián 5: Ruhetag mit Rumgucken
Mittwoch, 21. September 2022 um 7:51Wieder gut geschlafen, erfrischt aufgewacht.
Bloggen mit den Hühnern, hier wird es erst um acht hell. (Liegt ja auf der Breite von Wales, aber in einer anderen Zeitzone.)
Ich hatte Tickets fürs Guggenheim-Museum in Bilbao besorgt, und zwar für den Zeit-Slot 13.30 Uhr – genug Zeit für einen gemütlichen Vormittag und für Buchen eines Busses nach Bilbao (es gibt keine direkte Zugverbindung), dachte ich. Was sich aber als Irrtum herausstellte, als Herr Kaltmamsell auf meine Bitte die Busverbindungen recherchierte: Wir hätten um 9.45 Uhr vom Busbahnhof abfahren müssen, denn die zahlreichen Überlandbbusse überall hin, die ich auf der Basis von Erfahrungen vor 30 Jahren vorausgesetzt hatte, gibt es wohl nicht mehr.
Wir entschieden uns dagegen, alles liegen und stehen zu lassen, um diesen Bus zu erreichen, und dafür, die Museum-Tickets verfallen zu lassen (innerlich als Spende für Kultur verbucht). Statt dessen zogen wir den für Mittwoch geplanten Ruhetag vor. Ich brauchte allerdings eine Weile, um über mein planerisches Versagen hinweg zu kommen.
Also gemütlicher Vormittag, an dessen Ende wir raus in die Sonne gingen (wolkenlos, aber es wird ganz langsam kühler).
Ein café von leche im Viertel (nur je 1,50 €, die Münchnerin schluchzt auf – ein kleines Craft Bier kostet aber wie in München 3,50 €), dann versuchten wir, einen bestimmten Bar wiederzufinden, an dem die Anwohnenden am Sonntagmittag Schlange für Mitnehmessen gestanden waren, unter anderem für gegrillte Wachteln. Gefunden, dann weiterspaziert zu einem möglichst großen Supermarkt hinterm Bahnhof, in dem wir gründlich Landeskunde betrieben.
Unter anderem lernten wir, dass auch hier Buchweizen gegessen wird (trigo sarraceno), dass es Nocilla (hiesige Hauptquelle für Trinkgläser) jetzt auch aus dunkler Schokolade gibt und dass man einen Frischkäse “queso fresco de Burgos” kaufen kann, der Lab als Zutat aufführt. Letzteren nahmen wir neben weiteren Lebensmitteln gleich mal mit.
Mein Frühstück um halb drei zurück in unserer Ferienwohnung: Die letzte Markttomate mit Salz und Olivenöl, Maisbrot, Burgos-Frischkäse – der mir wie eine Mischung aus Ricotta und Manouri vorkam und gut schmeckte.
Wir lasen beide eine Weile, bis wir nochmal zu einer Runde Frischluft und Kultur rausgingen. Auf dem Weg kamen wir in der Altstadt an wunderbar altmodischen Geschäften vorbei, vorgemerkt für die abschließende Runde Einkäufe vor Heimfahrt (die perfumeria mit riesigen Flaschen Duftwasser! der Schokoladenladen mit selbst gemachten turrones!).
Kultur war dann das Diözesanmuseum, in dem mittelalterliche, moderne und zeitgenössische religiöse Kunst aus zehn Jahrhunderten nebeneinandergestellt wird: Gut gemacht und genau der Bruch mit Sehgewohnheiten, den ich an Kunst mag.
Nachdenken über Materializität von Kunstwerken und darüber, was von der Ausstellungsumgebung dazugehört (nur der Rahmen? auch die Staffelei?).
Heiliger Sebastian.
Das Kirchenschiff wurde volle Kanne beschallt von wechselnder sakraler Musik vom Band (als “Richte Mich, Gott” von Felix Mendelssohn Bartholdy ertönte, sang ich halt ein bissl mit).
Auf dem Rückweg eine zeitgenössische Pietá an der Kirche San Vicente entdeckt, der ältesten in San Sebastián.
Stein am Urumea.
Wir kehrten in einem Bar in unserem Viertel auf ein Pale Ale / ein lokales IPA ein.
Abendessen kochte Herr Kaltmamsell und beseitigte damit mein schlimmes Linsen-Defizit. Er verwendete Wammerl, das er am Samstag auf dem Markt gekauft hatte, Lauch und Aubergine – das Resultat schmeckte ausgezeichnet. Für Nachtisch war noch genug Schokolade da.
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Gestern fotografierte ich den ganzen Tag gezielt Typografie: Es gibt nämlich eine baskische Schriftart, die wollte ich festhalten. Ich habe einige Aufnahmen in einer instagram Story zusammengestellt, schaun Sie mal ob der Klick darauf funktioniert. Nachtrag: Ich heiße auch auf instagram Kaltmamsell.
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Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach platzt der Kragen:
Ich bin es so satt. Immer, wenn es um Veränderungen im Öffentlichen Verkehr (Bus, Bahn etc.) geht oder um ein preiswertes Ticket wie aktuell, werden wir Menschen auf dem Land in Geiselhaft genommen von denen, die möglichst nichts daran ändern wollen, dass unsere gesamte Infrastruktur für eine Kostenloskultur und Gratismentalität rund ums private Auto ausgelegt ist.
Der ganze Text:
“Lasst uns Landmenschen da raus”.