Journal Freitag, 26. Februar 2021 – Auf dem Weg zur neuen Wohnung

Samstag, 27. Februar 2021 um 8:08

Weitere unruhige Nacht, zumindest ohne deutliche Pausen. Zerschlagen um fünf aufgewacht, bis Weckerklingeln geruht. Den ganzen Tag über fühlte ich mich in der Arbeit bleiern, aber hilft ja nix.

Bevor ich ins Büro aufbrach, wollte ich die beiden Klos in der neuen Wohnung mit Papier ausstatten (ich hatte am Vorabend gesehen, dass es ausging) – und begegnete dort den Handwerkern, für die es gedacht war. Kurzer Ratsch.

Seit Anfang des Jahres komme ich morgens am Corona-Testzentrum auf der Theresienhöhe vorbei, das Pandemie-bedingt geschlossene Verkehrsmuseum wird dafür genutzt. Und mit der Zeit glaubte ich eine Korrelation zwischen Länge der Schlange davor und den Münchner Infektionszahlen in den darauffolgenden Tagen zu erkennen. Wenn ich damit richtig liege, macht mir die Länge gestern Morgen Angst. (ICH WILL IMPF!)

Arbeitstag ohne Auffälligkeiten. Als Mittagessen gab es einen Apfel und ein großes Stück Schneekuchen. Wetter weiter sonnig und mild, ein wenig kühler als am T-Shirt-Donnerstag.

Pünktlicher Feierabend, auf dem Heimweg kurzer Einkaufsabstecher für Obst.

Daheim machte ich mich sofort an Umzugs-vorbereitendes Schrubben von Küchenteilen. Wie verabredet brachte die Bruderfamilie auf der Durchfahrt zu einem Wochenendausflug mit dem Auto einen Teppich, Kleinmöbel und Werkzeug vorbei. Wir zeigten die leere neue Wohnung vor und träumten von einer gemeinsamen Nutzung für Feiern.

Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl nochmal seine Guacamole mit Nachos und dann ein Goa-Fischcurry mit wunderbar saftigen Fischstücken. Dazu gab es einen spanischen Sauvignon. Nachtisch Schokolade.

Vielleicht muss ich mir eingestehen, dass der Wechsel der Home Base nach 21 Jahren mein befindliches Gesamtsystem doch mehr mitnimmt, als die Vernunft es bei einem Umzug im selben Haus! vorausgesehen hätte. Dabei weiß ich, wie wichtig Wohnen für mich ist, der durch und durch vertraute Ort, an dem ich nur mit mir selbst zu tun habe und am wenigsten angestrengt einfach sein kann. Und jetzt steigt wieder die Furcht auf, dass hinter dem robusten Haudegen, als der ich mich einordne, ich Wirklichkeit ein komplett unbelastbares Prinzesschen auf der Erbse steckt.

Im Bett las ich weiter in meiner aktuellen Lektüre, Anke Stellings Roman Bodentiefe Fenster. Mich nahm ihre bittere Hilflosigkeit mit. Bereits nach den ersten Kapiteln habe ich den Verdacht, dass die Schilderungen des Lebens in einem Mehrgenerationenhaus in Berlin einerseits realistisch sind, ich andererseits nicht mitbekomme, welche Wertung die Darstellung impliziert: Diese Art des Erwachseins, das Kinderhaben definitorisch einschließt, inklusive Aussicht auf Enkelkinderhaben, war mir immer sehr fern. So fern, dass es für mich nie “eine Entscheidung gegen Kinder” gab. Weshalb ich mich auch nie mit der Ausgestaltung dieser klassischen Art des Erwachsenseins beschäftigt habe und davon ausgehe, dass die Leute sich das halt so ausgesucht haben, wie sie es leben – Menschen sind verschieden. (Politisch möchte ich aber schon, dass es dafür möglichst große Wahlfreiheit gibt und dass den Kindern, die ja per Definition kein Mitspracherecht bei der Beteiligung durch Geborenwerden hatten, nichts Böses geschieht.) Mit all den Zwängen und all der Zerrissenheit, die Stellings Hauptfigur Sandra lebt, stelle ich mir das vor: eigene Familie zu haben.

§

Passgenau zu meiner aktuellen Lektüre: Ein Essay von Daniela Dröscher über die deutsche Mittelklasse – Begriff, Definition, aktuelle Entwicklung.
“‘Ich bin zwar privilegiert, aber immerhin nicht reich'”.

“Mittelschicht” erscheint auf den ersten Blick auch deshalb angemessener, weil die Mittelklasse nach Karl Marx eine Klasse ohne Bewusstsein von sich ist. Eine Klasse lebt, anders als die Schicht, von einem Wir-Gefühl.

(…)

Das einzige verbindende – aber sehr wesentliche – Kriterium ist die Lohnabhängigkeit. Die Abwesenheit von nennenswertem Kapital, also Besitz und Anlagen. Angehörige der lohnabhängigen Mittelklasse, die aufhören zu arbeiten, müssen früher oder später Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

(…)

In der alten Mittelklasse garantieren Fleiß und solide Arbeit den Erfolg. Lebensideale sind ein geregeltes Auskommen, ein Eigenheim, eine sichere Rente. In der neuen hingegen dominiert das Ideal des Besonderen; die harten Währungen sind Einzigartigkeit und Originalität. Erstrebenswerter als materielle Statussymbole sind Zustände der Sinnhaftigkeit.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 25. Februar 2021 – Erstes Möbelstück in neuer Wohnung

Freitag, 26. Februar 2021 um 6:28

Die Müdigkeit legte sich dann schon kurz nach Ankunft im Büro auf meine Schultern und Augenlider: Der Nachtschlaf hatte wieder eine längere Pause eingelegt, irgendwann hatte ich das Licht eingeschaltet und den Ustinov-Roman Krumnagel ausgelesen. (“Wie kommst du bloß dazu, so viel zu lesen?” Antwort zu Studienzeiten: “Ich habe keinen Fernseher und wohne allein.” Antwort nach Studium: “Dafür kenne ich fast keine Fernsehserien.” Antwort perimenopausal: “Schlafstörungen.”)

Ustinovs Kommödie von 1971 ist schlecht gealtert, die Komik bewegt sich weitgehend auf dem stereotypen, rassistischen und sexistischen Niveau einer Benny-Hill-Show, ein wenig aufgewertet durch das hohe Sprachniveau. Und selbst wenn man die Rückständigkeit der Erscheinungszeit berücksichtigt, leidet die Geschichte des Polizeichefs einer großen US-amerikanischen Provinzstadt, der mit einem Gratisticket, Geschenk für langjährige Verdienste, nach Europa reist, unter der Weitschweifigkeit, mit der Ustinov jede Szene, vor allem jeden Dialog und jede Rede ausformuliert, unter der Vielzahl überflüssigen Personals, das gerne detailliert beschrieben wird, ohne je nochmal aufzutauchen. Chief Krumnagel erschießt durch ein Missverständnis einen Saufkumpanen in einem englischen Pub (und weil er in einer Szene, die Fernehzeitschriften meiner Kindheit “turbulent” genannt hätten, am Flughafen seine Waffe nicht abgeben musste). In der Folge lässt Ustinov Kulturen und Rechtssysteme aufeinanderprallen, macht sich über Schwule lustig sowie über modernen Strafvollzug, bis Krumnagel in einer psychodelischen Schlussszene völlig durchdreht.

Aber! Das Buch lenkte mich ausreichend vom wachhaltenden Gedankenkarussell ab, ich schlief nochmal fast zwei Stunden bis zum Weckerklingeln.

Ein weiterer supermilder Tag, der allerdings nicht nach Frühling roch – wie denn auch?

Zu Mittag gab es einen Apfel, außerdem Quark und Joghurt. Nachmittags ein Stück schwarze Schokolade.

Highlight des Arbeitstags: Ich lernte in einer Online-Infoveranstaltung höchst interessante Dinge.

Nach der Arbeit ging ich direkt heim, denn ich hatte Pläne. Nämlich: Eine eigentlich ausrangierte Kommode (noch aus meinem Jugendzimmer bei Auszug aus Elternhaus mitgenommen) vom Balkon holen, wo sie seit Jahren leere Blumentöpfe beherbergt, und putzen. Ich brauche sie als Übergangsmöbel für Kleidung in der neuen Wohnung, bis es den Einbauschrank in meinem Schlafzimmer gibt.

Herr Kaltmamsell hatte sich mittags um die Wohnungsübergabe gekümmert, ich konnte die saubere Kommode (Ikea in der ersten Hälfte der 1980er produzierte noch Qualität) mit ihm gleich hochtragen.

Voilà: Erstes Möbelstück in neuer Wohnung.

Eine Runde Yoga, zum Nachtmahl gab es Feldsalat aus Ernteanteil und Käse.

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Wendy Lower hat ein Buch geschrieben über ein Holocaust-Forschungsprojekt, das mit einem einzigen Foto begann. Hier erzählt sie den Hintergrund.
“To Catch a Killer: Uncovering the Massacre of a Jewish Family in Nazi Europe”.

via @C_Emcke

Unter anderem gelernt: Es gibt so wenige Fotografien der tatsächlichen Tötungen im Holocaust, dass ihre Aufzählung in einen Absatz dieses Artikels passt.

These iconic snapshots of the Holocaust give the false impression that such images are numerous, yet they number not many more than a dozen, and we know little, if anything, about who is in them, and even less about who took them.

Schwerpunkt der Holocaust-Forschung jüngerer Zeit ist die Kollaboration vor Ort – wie sie zum Beispiel auf diesem Foto sichtbar ist. Doch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zutage bringen, wie groß die Beteiligung der Einheimischen an der Judenverfolgung und -tötung in der Ukraine, in Polen, Ungarn und andernorts in Euroa war, werden meist als Nestbeschmutzer zum Schweigen gebracht, sogar bedroht.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 24. Februar 2021 – Die nächste Baustelle

Donnerstag, 25. Februar 2021 um 6:29

Viel besser geschlafen, im Traum einer alten Freundin begegnet. Das Vogelkonzert, das ich nach Entfernen der Ohrstöpsel hörte (ich schlafe einfach im Durchschnitt deutlich besser mit den wächsernen Ohropax), wird immer dichter.

Wir wohnen ja zwischen den größeren Baustellen Sendlinger Tor und Portalklinik Nussbaumstraße. Nachdem sich endlich ein Abschluss des benachbarten Klinikneubaus abzeichnet (die Außenanlagen werden begärtnert und bepflastert), nach fünf Jahren, informierte uns ein Flyer der Stadtwerke über die nächste Baustelle direkt vor der Haustür: Die Fernwärmeleitungen werden ab nächster Woche erneuert. Ich erinnere mich noch an die Erstverlegung und fühle mich alt. Jajaja, das ist halt der Preis des Innenstadtwohnens, gefühlt verbringen wir mehr Zeit mit Baustellenrummel als ohne.

Fußweg in die Arbeit in Frühlingsluft und ohne Mütze.

Aus Gründen vormittags ein bisschen Büro wechsle dich, aber jetzt sollte ich auf absehbare Zeit stationär bleiben können.

Mittags aß ich zwei Scheiben selbstgebackenes Brot aus der Gefriere, dazu zwei kleine Avocados aus der Málaga-Lieferung: Ich sparte mir jede Zubereitung, sondern halbierte sie einfach, salzte ein wenig und löffelte sie direkt aus der Schale – köstlich und perfekt reif. Außerdem die Kerne eines Granatapfels.

Nach Feierabend ging ich direkt zu den benachbarten Freunden, die dankenswerterweise unsere Küche unterstellen, solange unsere Wohnung grundsaniert wird – es war sehr schön, sie zu sehen. Und ich weiß jetzt, in welchem Bereich des Kellerlagers sie Platz dafür geschaffen haben.

Auf dem Heimweg holte ich mir mit Herr Kaltmamsell Dürüm zum Abendessen. Nachtisch war Schneekuchen, mit dem der Herr nachmittags die eingefrorenen Eiweiß aus der Gefriere aufgebraucht hatte: Guter Kuchen, und jetzt ist der Gefrierschrank so gut wie leer und somit abtau- sowie putzbar.

Da wir den Schlüssel zum Reinlassen von Handwerkern haben, schauten wir rauf in die neue Wohnung für ein detaillierteres Orientieren, vor allem in Bad und Küche. Es werden Einrichtungs- und Aufteilungsentscheidungen zu treffen sein, in denen ich gar nicht gut bin – weil ich dazu (im Gegensatz zu leider praktisch sonst immer) keine Meinung habe.

Früh ins Bett zum Lesen.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 23. Februar 2021 – Pandemische Trübe

Mittwoch, 24. Februar 2021 um 6:34

Ungute Nacht, in der mich vergessen geglaubte Gespenster überfielen und aktuelle Ängste beutelten. Diese Stimmung überschattete den ganzen Tag.

Der gestrige Sonnentag war ein wenig durch Schleierwolken am Strahlen gehindert, aber es war wieder wunderbar mild. In der Arbeit unter anderem eine Software-Weiterbildung – über Videokonferenz mit geteiltem Bildschirm der Trainerin viel nützlicher als live in einem Schulungsraum (und ich konnte während dessen ans Telefon gehen).

Mittags Käse und Birnen, nachmittags Apfel und Nüsse.

Nach Feierabend ging ich direkt nach Hause – fast direkt, ich machte eine kleine Schleife über die Theresienwiese, die von vielen Menschen für Bewegung, Begegnung und Draußensein genutzt wurde. Daheim weitere Umzugsvorbereitungen (Fahrräder in den Keller, ein großes Schrankfach mit nie genutzten Dingen ausgemistet), kurze Yoga-Einheit. Herr Kaltmamsell servierte ein Pastagericht mit Avocados und mexikanischer Soße – die mir leider nicht schmeckte, ich glaube, ich mag diese geräuchtert-saure Schärfe nicht. Zum Glück hatten wir reichlich Kekse und Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen.

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Im Philosophie-Magazin ein Interview mit Karl Lauterbach zur gesellschafts-philosophischen Seite der Pandemie – der Mann ist nicht nur studierter Epidemologe, sondern hatte auch in Harvard ein Philosophie-Fellowship.
“Karl Lauterbach: ‘Die Corona-Maßnahmen sind eine Politik des Freiheitsschutzes'”.

Was nützt eine Freiheit, die man nicht mehr ausüben kann? Oder andersherum formuliert: Der Staat hat in solch einer Pandemie-Situation die Aufgabe und Pflicht, die „capabilities“ der Einzelnen zu erhalten, um ihre Freiheit langfristig zu schützen. Denn eine Freiheit, die ich zwar auf dem Papier habe, aber wegen Krankheit oder verkürzter Lebenserwartung nicht ausüben kann, ist keine wirkliche Freiheit. Die Corona-Politik sehe ich deshalb als eine Politik des Freiheitsschutzes

(…)

Die Eigenverantwortung kommt hier sehr schnell an ihre Grenzen. Will man diese angesichts eines so gefährlichen Virus praktizieren, muss man sich einerseits sehr gut auskennen, andererseits auch über entsprechende Ressourcen verfügen. Man müsste also zum Ersten verstehen, was exponentielles Wachstum bedeutet, wie genau Aerosol-Kontaminationen funktionieren oder was eine überlagerte Pandemie ist. Zum Zweiten müssten Menschen genug Geld und Ressourcen besitzen, um sich allein durch Eigenverantwortung ausreichend schützen zu können. Das ist in der Realität aber nicht der Fall, weshalb der Staat zum Erhalt der Freiheiten Verantwortung übernehmen muss. Der Ruf nach der Eigenverantwortung scheint mir deshalb oft eine Projizierung der Ressourcen derjenigen, die diesen Ruf artikulieren, auf den Rest der Gesellschaft.

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Wie Epidemien die Landschaft prägten:
“How Plagues Shape the Landscape”.
Der New York Times-Artikel zeigt und beschreibt Kanäle, die durch sauberes Wasser der Cholera ein Ende bereiteten, Pestsäulen (an der in Wien stellten manche in der ersten Corona-Welle 2020 Kerzen auf), Hospitäler, Kirchen, Quarantänegebäude, einen Gedenk-Hain.

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Die Band Daft Punk hat sich diese Woche nach 27 Jahren aufgelöst. Mich persönlich verbindet mit ihr zwar nur die großartige Musik zu Tron Legacy, doch ihre Bedeutung wird durch diese schöne Aufführung einer französischen Militärkapelle zum Französischen Nationalfeiertag 2017 klar:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/vhQkku7jLfo

(Andererseits spielt ja auch die Bundeswehrkapelle “Winds of Change”, na gut. Aber ohne Choreo.)

die Kaltmamsell

Journal Montag, 22. Februar 2021 – Grundschulkinder und Friseurtermin

Dienstag, 23. Februar 2021 um 6:40

Am Vorabend war ich zu müde zum Bloggen gewesen und hatte nur Stichpunkte notiert, der Morgen war also etwas gehetzt.

Draußen sah es erst mal neblig aus, doch die Sonne vertrieb den grauen Filter schnell.

Auf dem Weg in die Arbeit hörte ich um die Türme von St. Paul evtl. Falken rufen. Weitere Veränderung: Ich begegnete vielen Grundschulkindern, die meisten an der Hand Erwachsener, deren Schulen öffneten gestern wieder in Bayern (Infektionszahlen in Deutschland waren am Wochenende erstmals wieder gestiegen, eine deutlich infektiösere Mutation des Virus verbreitet sich; die Rechenmodelle der Wissenschaft – die seit einem Jahr erschreckend genau zutreffen – zeigen den Beginn einer dritten Welle an).

Mein Mittagessen waren die Reste vom vorabendlichen Avocado-Grapefruit-Salat mit einem Laugenzöpferl, nachmittags aß ich Nüsse und getrocknete Aprikosen.

Mein Friseur meldete sich mit einem Terminvorschlag (Friseure dürfen in Bayern vor allen anderen Geschäften und Dienstleistungen bereits am 1. März öffnen) (nein, das halte ich für keine gute Idee), den ich auf in sieben Wochen verschob – dann erhoffe ich mir eine wirklich beruhigte Infektionslage, bis dahin habe ich halt keine gut geschnittenen Haare. Wie die meisten Menschen eh die meiste Zeit: Dieses Jahr hat mich gelehrt, dass das, was regelmäßige Friseurgeherinnen wie ich als schlimm verwachsene Haare empfinden, für Dritte völlig ok aussieht (abhängiger sind Menschen, die sich die Haare stark färben lassen). Oder dieser Termin entfällt weil dritte Welle siehe oben.

Emsiger Nachmittag im Büro, es war denn ganzen Tag herrlich sonnig. Auf dem Heimweg machte ich einen Abstecher zum Edeka, um Süßigkeiten zu kaufen. Daheim kurze Abstimmung mit Herrn Kaltmamsell zu Umzugsdingen, kurze Yoga-Einheit.

Herr Kaltmamsell hatte aus den Ernteanteil-Pastinaken eine Suppe gemacht, die Rüben aber vor dem Kochen im Ofen geröstet – das Ergebnis war ganz besonders gut, süß und aromatisch, mit Zitronensaft und Pul Biber perfekt. Satt wurden wir dann mit Keksen und Schokolade.

Fernseher bald nach der Tagesschau ausgeschaltet, ich las den Ustinov-Roman, um mal voranzukommen.

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Schaun Sie mal: Die Zeit hat unsere Wohnung auf der Deutschlandkarte mit Mietpreisen extra dunkelbraun eingezeichnet!

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Wie sieht heutzutage eigentlich der Arbeitstag einer Geisteswissenschafts-Professorin an einem Uni-Lehrstuhl aus? Hier protokolliert eine mal mit.

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Das Leibniz-Institut für deutsche Sprache führt ein Neologismen-Wörterbuch – und hat gesammelt, welche neuen Wörter die aktuelle Corona-Pandemie hervorgebracht hat. Hier auch zahlreiche Sprachglossen und wissenschaftliche Beiträge dazu.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 21. Februar 2021 – Familien-Update mit scharfem Ostwind

Montag, 22. Februar 2021 um 6:50

Wecker auf sieben, damit noch Zeit für Sport war. Denn ich fuhr gestern nach zweieinhalb Monaten mal wieder Zug, und zwar um meine Eltern zu besuchen. (Ich hoffe sehr, dass das kein Pandemie-Leichtsinn war.)

Sport war dann Crosstrainer-Aufwärmen mit Blick in einen weiteren sonnigen Tag und eine Runde Reha-orientiertes Krafttraining.

Wenn gewohnte technische Handgriffe plötzlich nicht funktionieren, ärgert mich das immer sehr. Gestriges Beispiel: Der Handy-Kauf eines Bayerntickets für die Bahnfahrt scheiterte, weil der Zahlungsschritt überraschend eine Verifizierung erforderte, die ich bei meiner Bank einholen müsse – dafür (oder für die Suche nach einem anderen Zahlungsweg) war in diesem Moment natürlich keine Zeit. Ich brach früher zum Bahnhof auf (warme Sonne, milde Luft) und holte mir ein Ticket am Automaten – der zum Glück ohne Überraschungen funktionierte.

Auf der Zugfahrt nach Ingolstadt wurde es in der Holledau immer nebliger, das hielt in Ingolstadt an – und dieser Nebel stellte sich als überraschend kalt heraus. Auf dem Fußweg zu meinen Eltern hätte ich Mütze und Handschuhe gut brauchen können, die mir im sonnigen München nicht in den Sinn gekommen waren. Aber ich war ja gut bepackt (nach der langen Zeit ohne Begegnung hatte sich einiges angesammelt, von ausgemusterter Kleidung über leere Plätzchendosen und Flaschen bis zu selbst gebackenem Brot und ein paar Bio-Avocados), richtig kalt war mir nicht.

Große Freude über das Wiedersehen mit meinen Eltern, beide wohlauf und mit pragmatischem Umgang mit der Pandemie-Situation (allerdings traurig über die fehlenden Reisemöglichkeiten, weil “uns läuft die Zeit davon”). Ich versuchte vergeblich, ein Computerproblem meines Vaters zu lösen (gemeinsames Weihnachten war ja ausgefallen): Er möchte seinen Laptop auf dem Fernseher spiegeln, wie es mit seinem Handy ganz einfach funktioniert, doch wenn ich dieselben Schritte über den Rechner mache, erkennen die beiden Geräte zwar einander, doch wenn ich am Smart-TV die Erlaubnis zum Verbinden anklicke, rödeln beide Seiten eine Weile, dann kommt die Fehlermeldung “Verbindung nicht möglich” – Herr Kaltmamsell wusste abends auch keinen Rat.

Meine Mutter hatte polnisch gekocht: Es gab Steinpilzcremesuppe, dann Kaninchenschenkel, Kopytka (allerdings nach einem anderen Rezept als meinem, ihres erzeugte deutlich flaumigere) und Rote-Bete-Gemüse – alles köstlich.

Mittlerweile war auch hier die Sonne rausgekommen, die gesamte Bruderfamilie (maskiert) holte uns ab zu einem Spaziergang Richtung Osten – in mittelbösem Ostwind. Über industriell bewirtschaftete Felder (an einem frisch gepflügte Feld sahen wir von fern einen Storch und einen Silberreiher) mit Industrieschloten im Hintergrund führten meine Eltern uns zum Himmelreich – jetzt habe ich das auch mal gesehen, liegt gleich vorm Fußballplatz des TSV Mailing-Feldkirchen, ich glaube ich schaue mir vor einer Entscheidung fürs Leben nach dem Tod doch erst nochmal die Hölle an (oder vielleicht ist das ja nur das Himmelreich für Ingolstädter und ich als Münchnerin bekäme im Fall des Falls ein anderes?). Wir begegneten vielen Radlern und Radlerinnen, 90% mit Elektromotor, doch Gegend und Wetter waren nicht verlockend genug für unangenehme Menschenmassen. In den knapp anderthalb Stunden wechselte ich zu Gesprächen mit jedem und jeder mal durch, ich habe jetzt wieder einen kleinen Einblick in das Leben meiner Eltern und der Bruderfamilie (und rede mir fest ein, dass im scharfen Ostwind und mit Abstand kein Aerosol eine Chance gehabt hätte).

Bepackung für meine Heimfahrt war eine Seite heimische geräucherte Lachsforelle von Frau Schwägerin und ein Flasche spanischer Brandy Carlos I. von meinem Vater, die schon so lange auf Einsatz gewartet hatte, dass sie noch in Peseten bepreist war. Mit einem Glas davon stoßen wir in zwei Wochen auf erfolgreichen Umzug an (oder beruhigen uns nach Katastrophen).

Zu Hause half ich Herrn Kaltmamsell, den seit Jahren ungeputzten geerbten Kronleuchter in unserem Bad abzunehmen, damit Herr Putzmann ihn bei seinem Einsatz am Montag vor Umzug ins neue Bad reinigen kann. Ich machte noch eine Runde Yoga, bis ich als Begleitung des Lauch-Flammkuchens aus der Hand von Herrn Kaltmamsell zum Abendessen einen weiteren Avocadosalat mit Grapefruit und diesmal auch einer Blutorange zubereitete.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 20. Februar 2021 – Wärmeeinbruch mit Folgen, völlig neuer Brotfehler

Sonntag, 21. Februar 2021 um 7:55

Ausgeschlafen, und das auch noch gut. In zwei Wochen wäre ich schon in der neuen Wohnung aufgewacht.

Draußen entfaltete sich ein herrlicher Sonnentag. Vormittags buk ich Brot (es wurde wieder eine Häusemer Bauerekrume) und strampelte Crosstrainer.

Beim Einschießen des Brots in den heißen Ofen passierte mir ein Missgeschick: Der Teigling rutschte vom Brotschieber auf die offene Ofentür. Ich wurschtelte ihn mithilfe des Schiebers irgendwie auf Backstein mit Backpapier. Das Ergebnis war – denkwürdig. (Und verdient ganz sicher einen eigenen Eintrag unter den Brotfehlern im Plötzblog.)

Von oben.

Von unten.
Aber hey! essbares Brot. (Das Backpapier ließ sich vorsichtig am Stück entfernen.)

Die Kochpläne des Wochenendes machten eine kurze Einkaufsrunde nötig. Das Draußen überraschte mich mit einem Wärmeeinbruch, statt des Ledermantels hätte ein Pulli genügt. Anblicke auf der Runde:
– Krokanten in allen verfügbaren Farben
– Spaghettiträger um nackte Schultern
– nackte Füße in Badelatschen
(Bonus: Wintergoldhähnchen im Nußbaumpark)

Als ich dieses Foto aufnahm, sah ich aus dem rechten Augenwinkel etwas Winziges heranflattern: Ein Wintergoldhähnchen, das ich dann noch ein wenig beim Turnen auf Tannenzweigen beobachten konnte.

Die Straßen und Wege des Glockenbachviertels waren so bevölkert (Eisdielen ZACK! offen), dass ich die FFP2-Maske lieber durchgehend trug, Abstand war praktisch unmöglich.

Frühstück um halb drei: Frische Semmeln.

Jetzt war aber Schluss mit lustig, es gab ja einen Umzug vorzubereiten. Gestern sortierte ich Geschirr und Gläser aus: Es wurden zwei Umzugskisten mit sorgsam in Zeitungspapier eingeschlagenen Dingen – vielleicht mal Teil des ersten eigenen Hausstands der nächsten Generation. Wegzuwerfen gab es auch wieder einiges (ich möchte gerne wissen, wer derart viele leere Schraubgläser für aufhebenswert hielt). Ich genoss es, dass ich während des gesamten Räumens, Sortierens und Hin- und Herlaufens die Balkontür offen lassen konnte.

Abendessen machte ich: Aus dem kleinen Kopf Weißkraut aus Ernteanteil wurden Krautfleckerl nach Österreich vegetarisch (sechste Auflage schon!), diesmal nach Langem mit selbst gemachten Fleckerl. Allerdings hätte ich mal besser meinen eigenen Notizen vertraut, die die “2-3 Esslöffel Wasser” für den Nudelteig eingeklammert hatten. So vertraute ich dem eigentlichen Rezept – und bekam (wahrscheinlich wieder) zu weichen Nudelteig. Auch wenn ich Mehl nachknetete, war der Teig zu klebrig für die Nudelmaschine, ich walkte ihn mit dem Nudelholz auf viel Mehl aus. (Diesmal strich ich die Wasserzugabe im Kochbuch mit Kuli energisch durch).

Abendunterhaltung: Hail Caesar auf 3sat – ich schmiss mich auch bei der synchronisierten Fassung weg. Ich mag den Blödsinn der Brüder Coen schon arg gern, vor allem mit George Clooney als Volltrottel.

§

Das Buch Wir Kinder vom Bahnhof Zoo war in meiner Kindheit und Jugend sehr dominant. Ich entnehme den Medien, dass es als Serie neu verfilmt wurde und derzeit gezeigt wird. Ich bin ziemlich sicher, dass ich es damals las, wohl auch selbst hatte, erinnere mich allerdings nur an wenige Fragmente der Lektüre. Till Raether ist etwa in meinem Alter und lebte als Kind und Jugendlicher an genau den Orten, an denen die Handlung spielt. Er schrieb vergangenes Jahr auf, was eine erneute Lektüre mit ihm machte – und weckte viele Erinnerungen bei mir, obwohl ein Aufwachsen in Westberlin und Ingolstadt sehr, sehr unterschiedlich ist:
“Die große Schwester – Wiederbegegnung mit ‘Wir Kinder vom Bahnhof Zoo'”.

Unter anderem hatte ich vergessen, wie zentral damals die Angst vor dem Abrutschen der Kinder in Drogensucht war, das Mitzählen von Drogentoten auf den Titelseiten der Zeitungen. Und wie noch selbstverständlicher Rassismus.

§

Zufall, dass ich auch gestern über eine eigene alte Bloggeschichte stolperte, die mich selbst ans Erinnern erinnerte – an meine Vergangenheit als Handleserin:
“Handlinien”.

die Kaltmamsell