Journal Samstag, 2. Januar 2021 – Beifang aus dem Internetz

Sonntag, 3. Januar 2021 um 9:11

Eher unruhige Nacht.

Sport: Nach einer Runde Crosstrainer (Ausrede “Aufwärmen”) Rundum-Krafttraining mit Schwerpunkt Reha-Übungen. Unter anderem testete ich, ob ich nicht doch die eine oder andere Übung aus dem Reha-Zentrum mit Theraband und Balance Pad nachspielen kann (so lala).

Draußen hochneblig düster und kalt. Ich spazierte für Espresso-Einkauf in die Maxvorstadt (wäre nicht nötig gewesen, aber ein guter Anlass für Bewegung an der frischen Luft), da das nördliche Bahnhofsviertel immer noch von Baustellen durchzogen ist, musste ich oft die Straßenseite wechseln. In einem unangenehm engen Vollcorner arbeitete ich die Einkaufsliste ab.

Daheim Frühstück: Brot mit Käse, Honigbrot, Tee. In der Krone eines mächtigen Ahorns vorm Balkon zwitscherten Distelfinken so laut, dass ich auch bei geschlossenen Fenstern auf sie aufmerksam wurde. Ich bin schon sehr gespannt, wie sich unsere Aussicht auf die Vogelwelt in der neuen Wohnung zwei Stockwerke höher verändert (Vertrag liegt vor, wenn unterschrieben, gibt’s mehr Details).

Wie schon in der Nacht kämpfte ich mit Sodbrennen – bemerkenswert, weil bei mir sehr selten. Die Fachempfehlung, die ich im Internet fand: Warme Milch trinken. (Meine polnische Oma schwor auf einen Apfel, doch diese Säurebombe wollte mir als Gegenmittel gegen aufsteigende Magensäure nicht einleuchten.) Nach einem Tässchen warmer Milch und sonst im Lauf des Tags nur Wasser verschwand das Sodbrennen tatsächlich.

Zeitung gelesen, am späteren Nachtmittag ein Stück Panettone (im Eataly hatte es keinen klassischen mehr gegeben, ich hatte mich unter den exotischen Varianten für “Amarena” entschieden, der tatsächlich statt kandierter Früchte Stücke von Amarenakirschen enthält – gut!).

Im Internet eingekauft. Es hat sich nämlich ergeben, dass wir Bettwäsche brauchen, alle beide. Und damit meine ich keineswegs “brauchen” im Sinne von “gerne hätten”: Während ich lediglich über kein Betttuch ohne Loch mehr verfüge, hat Herr Kaltmamsell gar keine unzerrissene Bettwäsche mehr, und sein letztes Betttuch ist so löchrig, als hätte jemand versucht, ihn im Schlaf mit einem Schrotgewehr zu erschießen. Womit ich zwar mein Ziel keine Dinge anzuhäufen hervorragend erreicht habe (ich habe mir sagen lassen, dass sich in den meisten Haushalten meiner Altersklasse Bettwäsche stapelt), aber. Die vielen Geschäfte mit Bettwäsche, die wir als privilegierte Innenstädter in wenigen Minuten zu Fuß erreichen, sind schon länger und noch auf unabsehbare Zeit Pandemie-bedingt geschlossen – ich bestellte also online irgendwas in den vorsichthalber nachgemessenen Größen.

Zum Abendessen hatte ich große Sehnsucht nach Salat gehabt und machte uns Endiviensalat mit roten Paprika und Tahinidressing, dazu Eier.

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Gegen die Maulerei, deutsche Behören hätten die Organisation der Covid-19-Impfung gegen die Wand gefahren, hilft ein wenig Hintergrund, den Stefan Leifert, ZDF-Korrespondent in Brüssel, in diesem Twitter-Thread aufbereitet.

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Maximilian Buddenbohm schildert den Jahresanfang in Hamburg:
“And so it begins”.

Müll weht vorbei und gepflegt wirkt das alles nicht. Wenn man die Stadt schließt, dann lässt sie sich gehen. An den Fenstern der Restaurants, der Imbisse und Läden hängen Zettel, in manchen Fenstern etliche davon. Hygienekonzepte, Bitten um Masken, Erklärungen, Verlautbarungen, Regeln, Piktogramme mit AHA, Verweise auf noch offene Zweigstellen in anderen Gegenden, liebe Kundinnen und Kunden, dear customer. Hinweise auf Telefonnummern, Webseiten und Mailadressen. Wegen Corona, wegen der aktuellen Situation, wegen der Verordnungen.

Manchmal wurden Zettel über Zettel geklebt, die Novemberzettel verdecken so halb die Märzzettel, darüber etwas aus dem Dezember. Man könnte Zettelarchäologie betreiben und Schicht um Schicht freilegen. Bei einem Italiener hängt ein Blatt in Din A4 aus dem März, darauf steht einfach nur „Zum Mitnehmen“. Halb darüber klebt ein Zettel in DIN A3 aus dem November oder Dezember, darauf steht in riesiger Schrift, farbig und mit Ausrufezeichen: „ZUM MITNEHMEN!“

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Für die FAZ hat Julia Bähr zum einzigen Genre gegriffen, in dem man das vergangene Jahr glaubwürdig erzählen kann: Als Fernsehserie.
“Das Jahr 2020”.

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Warum noch viel mehr Mist passieren muss, bevor ich mein Internet nicht mehr liebe: Jemand singt auf TikTok einen Sea Shanty, ein weiterer veröffentlicht eine Bassstimme dazu – und das ist erst der Anfang. Das und viel mehr davon in diesem Twitter-Thread.

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Eine weitere Aufmunterung zum Jahresstart.

die Kaltmamsell

Fotorückblick 2020

Samstag, 2. Januar 2021 um 10:39

Joël hat sich Modalitäten zu einem Fotorückblick ausgedacht – und ich hatte Lust dazu.

Januar

Venedig.

Dinnerparty “Kochvergnügen wie in den 70ern”.

Februar

Ehemaliges Pissoir am Holzplatz.

Unbeschwerter Sonntagskaffee mit Familie bei Schwiegers in Augsburg.

März

Arbeitsweg.

Holzstraße.

April

Osterfrühstück.

Bavariapark.

Mai

Stoffmaske von Frau…Mutti.

Thalkirchen.

Juni

Neues Oberteil, neue Schuhe.

Balkonspechte.

Juli

Theresienwiese.

Bavaria.

Landwehrstraße.

Hirschgarten.

August

Frankfurt.

Groningen.

Bremen.

Kunsthalle Bremen.

Wohnzimmer.

Ammersee.

Westpark.

September

Landwehrstraße.

Theresienwiese.

Oktober

Rechte Hüfte.

Reha-Klinik St. Hubertus, Bad Wiessee.

November

Ambulante Reha Schwabing.

Olympiapark.

Dezember

Erster Schnee.

Weihnachtsgeschenke, verpackt.

Spanische Weihnachtssüßigkeiten.

Hier werden die Fotorückblicke gesammelt.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 1. Januar 2021 – Unerreichbare beste Versionen

Samstag, 2. Januar 2021 um 7:38

Ein Kalender, der mit Freitag beginnt, ist sicher nicht der schlechteste. Ob in der Silvesternacht im Münchner Klinikviertel geböllert wurde, kann ich nicht sagen: Ich schlief mit Ohrstöpseln gut und hörte nichts.

Sportprogramm war Yoga: Das tat so gut! Ich hatte bereits vergessen, dass Yoga in Körpergefühle kommt, zu denen meine anderen Bewegungsformen keinen Zugang haben (z.B. merkte ich im forward fall, dass ich meine geplagte LWS-Muskulatur durchgehend anspanne und hier bewusst locker lassen muss).

Noch dazu hieß die Folge “Intend” mit dem Angebot, sich eine solche Absicht zu überlegen. Ich ließ mich darauf ein und merkte bei dem Hinweis, “be the best version of yourself” gehe ja immer, dass ich eher Gegenteiliges brauche, weil mich vermutlich genau dieses Ziel, “die beste Version meiner selbst sein”, zermürbt hat: Es ist für mich (!), die von klein auf auf Leistungsgesellschaft gedrillt ist, in erster Linie unerreichbar, weil immer eine weitere Verbesserung möglich ist, was das Leben automatisch zu einer Abfolge von Scheitern und Enttäuschungen macht; mühelose Errungenschaften sind wertlos, wenn nicht sogar ein Versehen, nur Mühe zählt. Als mögliches Ziel fiel mir letztendlich für mich ganz persönlich ein: Accept failure, no matter what, it doesn’t take away your worth – akzeptiere Scheitern, egal welches, akzeptiere, deinen Ansprüchen nicht gerecht zu werden, nichts davon verringert deinen Wert.

Zum Frühstück aß ich selbst gebackenes Brot und italienischen Käse, eine Portion Zitronen-Tiramisu (das ich dann doch nicht so gern mag wie die Version mit Kaffee, Kahlùa und Kakao).

Für einen Spaziergang marschierte ich einfach mal in die Sendlinger Straße und weiter.

Als ich von der Briennerstraße auf den Odeonsplatz zusteuerte, hatte ich die Idee, nach der Stippvisite bei der Manufaktur am Vortag mal wieder in den Flagship Store Nymphenburger Porzellan am Odeonsplatz reinzuhimmeln. Nur um vor leeren Auslagen zu stehen und am Eingang zu lesen, dass der Laden dicht gemacht hat, Verkauf nur noch am Schlossrondel des Nymphenburger Schlosses. Kann ich also nur noch im Internet himmeln. (Solch kostbares Porzellan würde ich nie besitzen wollen – vor lauter Wertschätzung würde ich es nie verwenden.)

Daheim ein Brot mit Majo, Äpfel. Zeitunglesen im Bett mit Füßehoch.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell das Wildschweingulasch aus der Gefriere aufgetaut, die ebenso in Scheiben eingefrorenen Böhmischen Knödel gebraten, zum Nachtisch der Rest Tiramisu – ein Festmahl. Ich trank dazu den Rest des Silvestersekts.

Mir wurde bewusst, dass ich seit über drei Monaten keine Migräneattacke mehr hatte, also etwa seit dem Einsetzen des künstlichen Hüftgelenks. Wer hätte gedacht, dass Migräne durch Titan im Körper geheilt werden kann! Werde also allen Migränikerinnen künftig Hüft-TEP empfehlen. Oder das als Waffe gegen ähnlich falsch strukturierte Ratschläge einsetzen (Korrelation ≠ Kausalität): “Also MIR hat’s geholfen!”

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 31. Dezember 2020 – Nymphenburger Schlosspark

Freitag, 1. Januar 2021 um 9:42

Ausgeschlafen bis kurz vor sieben. Erst Mal Brotteig geknetet für ein Pane Vallemaggia – schon sehr lange nicht mehr gemacht, doch vor ein paar Wochen hatte ich mal wieder Weizensauerteig angesetzt. Es gelang nur so mittel (zu dicht und zu kleine Porung), wahrscheinlich hätten die kühleren Innentemperaturen im Winter längere Gärzeiten erfordert.

Sport war gestern die erste Cardio-Einheit der Woche, 45 Minuten Crosstrainer. Machte der Körper problemlos mit, ich war endlich mal wieder richtig nassgeschwitzt. Herr Kaltmamsell brachte währenddessen ein großes Paket Bücher zur Post: Es hatte sich eine Blogleserin gefunden, die sich für die deutschsprachigen unter unseren ausgemusterten interessierte, hurra!

Zum Frühstück gab’s Marmeladenbrot und Joghurt mit Sirupquitten, ich wartete auf das Fertigbacken der Brote. Das zweite Brot überließ ich Herrn Kaltmamsell, denn ich wollte den letzten Gültigkeitstag meiner MVG-Monatskarte und den herrlichen Sonnenschein für den letzten Spaziergang des Jahres nutzen: raus in den Nymphenburger Schlosspark, den ich überhaupt nicht kenne.

Ich nahm eine S-Bahn nach Laim und begann am nördlichsten Ende des Parks, von dort schlug ich den weitest möglichen Bogen durch den Park, ging auch neugierig mal in interessante Ecken am Rand. Es war herrlich, wieder wuchs meine Freude aufs Wandern.

Das ist die Wiese außerhalb der Schlossmauer, die ich seit Jahren vom Zugfenster nach Ingolstadt sehe.

Die Magdalenenklause, von Joseph Effner auf Anweisung von Kurfürst Max Emanuel 1725-1728 gleich als schicke Ruine gebaut (die zerrissen gekauften Jeans des 18. Jahrhunderts? die bekanntlich auch auf die Vergänglichkeit alles Irdischen, vor allem modischer Strömungen verweisen?).

Auf der Ostseite des Schlosses (der Platz völlig zugeparkt mit Autos, wenig idyllisch) spazierte ich den Bogen entlang und kam an der Nymphenburger Porzellanmanufaktur vorbei.

Deren Geschirr finde ich schon ganz besonders schön.

Mit der Tram ließ ich mich heimfahren, dort aß ich ein Stück Käse und machte mich mit Füßehoch auf dem Bett ans Zusammenstellen der Lieblingstweets.

Beim Spazierengehen hatte ich viel an dieses Kinderbild gedacht, das ich deshalb aus den Kommentaren hochhole.

Diese kleine Kaltmamsell mag ich sehr, identifiziere mich auch mit der pragmatischen Lesehaltung, die sich nicht durch Röckchen und Bluserl behindern lässt. Auf dem Schoß habe ich sehr wahrscheinlich Das große Buch von den heiligen Namenspatronen, das mich lange fesselte und faszinierte.

Silvestermahl:

Dazu luxemburger Crémant Alice Hartmann.

Und dann machten wir, was wir meistens an Silvester machen (2019 war eine Ausnahme): Wir gingen ins Bett, als wir müde waren.

§

Eine Reporterin der New York Times, Katrin Bennhold, blieb am Fall Frank A. dran – Sie erinnern sich vielleicht? Der Bundeswehrsoldat, der sich als syrischer Flüchtling ausgab, um mit Terroranschlägen die Stimmung gegen Flüchtlinge anzuheizen? Demnächst beginnt der Prozess, dann erinnern Sie sich wahrscheinlich einfacher.
“A Far-Right Terrorism Suspect With a Refugee Disguise: The Tale of Franco A.”

Aydan Ozoguz, a lawmaker who was commissioner for refugees and integration at the time (…): “The asylum system should identify cheaters, no doubt. But the bigger story is: How could someone like this be a soldier in Germany?”

(…)

In his generation, which came of age after 9/11, during the wars that sprang from it and in an era of global economic crisis, the distrust of government, far-right messaging and the embrace of conspiracy theories not only entered pockets of the security services. They also entered the mainstream.

“Far-right extremist messages have shifted increasingly into the middle of society,” Thomas Haldenwang, the president of the domestic intelligence agency, the Office for the Protection of the Constitution, told me in an interview.

They can even be heard in the halls of Parliament, where the far-right Alternative for Germany, or AfD, leads the opposition.

Bennhold zeichnet am Beispiel Frank A. sorgfältig nach, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten eine neue rechte Bewegung in Deutschland etablieren konnte, und wie ihre Realitätswahrnehmung gefiltert ist.

§

Albernheiten mit Cello gehen immer.

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https://youtu.be/LNGWS_fTxys

die Kaltmamsell

Lieblingstweets Dezember 2020

Donnerstag, 31. Dezember 2020 um 19:38

die Kaltmamsell

Jahresrückblick 2020

Donnerstag, 31. Dezember 2020 um 13:28

Die Pandemie könnte vielleicht erfahrbar machen, wie wenig ein kalendarischer Jahreswechsel bedeutet: Es ändert sich halt außer dem Kalender gar nichts. Ich nehme zudem an, dass Vorsätze mangels Zäsur in der SITUATION an diesem Silvester wenige sein werden. (Außerdem wurden nach meiner Beobachtung Sportvorsätze in zweimal Ausgangsbeschränkungen aufgebraucht.)

Übrigens veröffentliche ich diesen Rückblick nur zum Teil aus Aberglauben tatsächlich immer erst am letzten Tag des Jahres: Jede journalistische Berichterstatterin fürchtet, bei Voreiligkeit das Wichtigste zu verpassen. Gleichzeitig habe ich bemerkt, dass mich diese Fragen inzwischen langweilen, weil sie fast nur Angaben auflisten, die für mich irrelevant sind. (Vielleicht höre ich einfach damit auf.)

Die am häufigsten geherzten Fotos auf instagram:

Zugenommen oder abgenommen?
Weder noch.

Haare länger oder kürzer?
Weder noch.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Auf die Nähe erstmals weitsichtiger, mal sehen, ob’s 2021 zu einer neuen Brille reicht.

Mehr bewegt oder weniger?
Vermutlich gleich viel wie 2019, als meine sportliche Energie bereits stark ausgebremst wurde. Kein Wandern (wegen Hüfte), kaum Schwimmen (wegen Pandemie), weniger Fußwege (wieder Hüfte), dafür neu Yoga, wie gewohnt Crosstrainer, viel Reha-Gymnastik.

Mehr Kohle oder weniger.
Etwas weniger, weil die VG-Wort-Nachzahlung von 2019 entfiel.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Gleich viel: Den geringeren Ausgaben für Resaurantbesuche stehen ein edler Balkontisch und eine Matratze samt Lattenrosten gegenüber.

Der hirnrissigste Plan?
In der Nacht nach der OP allein aufs Klo zu gehen.

Die gefährlichste Unternehmung?
Am riskantesten war objektiv gesehen wohl die OP.

Die teuerste Anschaffung?
Eine neue Matratze.

Das leckerste Essen?
Das Mitnehm-Menü vom Broeding war schon besonders fein. Der Gazpacho von Herrn Kaltmamsell, Seezungen in Oldenburg, das Côte de Boeuf im Juli, der Nektarinen-Tomaten-Salat mit frischem Majoran, die DimSum im Hutong Club haben aber auch bleibende Erinnerungen hinterlassen.

Das beeindruckenste Buch?
Matt Ruff, Lovecraft Country

Das enttäuschendste Buch?
John le Carré, Tinker Tailor Soldier Spy
(Ich hatte mich so gefreut auf eine Zukunft mit Dutzenden le Carrè-Büchern – aber diese Spionage-Welt ist einfach lächerlich.)

Der ergreifendste Film?
Joker (Ja, der war 2020.)

Die beste Musik?
Weiterhin sehr wenig gehört, neu gekauft wohl nur Billie Eilish, weil ich sie mag.

Das beste Theater?
Es hat vor Corona-Schließung zu nur zwei Vorstellungen gereicht, davon gefiel mir Marieluise Fleißer, Der starke Stamm sehr gut.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
Hüftproblemen.

Die schönste Zeit verbracht mit…?
Herrn Kaltmamsell.

Vorherrschendes Gefühl 2020?
Zähne zusammenbeißen.

2020 zum ersten Mal getan?
Yoga, ein massives Stück Knochen durch Metall ersetzen lassen, mit Krücken gegangen.

2020 nach langer Zeit wieder getan?
Fremde um Hilfe gebeten, zwei Monate am Stück nicht erwerbsgearbeitet, in Wohnungseinrichtung investiert.

3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Pandemie, Realitätsverweigerer, kranke Verwandte.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Es ist echt ehrlich wirklich die Hüfte und nicht die Lendenwirbelsäule. (Mit Erfolg.)

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Es kommt mir vor, als hätte ich ein Jahr lang keine Geschenke gemacht. Als hätte ich mich überhaupt nicht um jemand anders gekümmert. Kein schönes Gefühl.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Sich um mich zu sorgen und mich zu umsorgen, ohne mich mit seiner Sorge zu belasten.

2020 war mit 1 Wort…?
Ich borge mir das “Off-track” von Christiane.

Vorsätze für 2021?
Keine, weil ich die Umstände der Umsetzung zu wenig beeinflussen kann.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 30. Dezember 2020 – Sanct Onuphrius und Leserinnen-Aufmerksamkeit

Donnerstag, 31. Dezember 2020 um 8:30

Gut geschlafen, sehr früher Wecker: Für meine letzte Einheit Nach-Reha-Sport wollte ich möglichst wenig Gesellschaft. Das klappte gut. Gutes, anstrengendes Training, ich reizte jede Übung (die ich mangels Ausstattung ja daheim nicht weiterführen kann) bis zum Anschlag aus.

Den Rückweg hatte ich so getimet, dass ich im Eataly kurz nach Öffnung einkaufen konnte. Das Stück vom Odeonsplatz dorthin ging ich zu Fuß, unter anderem um nach der Schlange vorm Dallmayr zu sehen (am 23. Dezember hatte sie so ausgesehen). Ging um halb zehn nur bis zum Kosmetikteil von Ludwig Beck.

Stolze Barockschönheit Theatinerkirche.

Wiederholt war ich vor diesem Haus am Marienplatz stehen geblieben und hatte das überraschende Mosaik betrachtet, “Sanct Onuphrius” – ein so obskurer Lokalheiliger, dass sein Name es nicht mal zu den hiesigen Akademikerbuberln der jüngsten 20 Jahre geschafft hat (wo es zum Beispiel vor Korbinians wimmelt). Diesmal fotografierte ich ihn und schlug daheim nach, fündig wurde ich hier und hier: Da schau her, ein Äthiopier, ab dem 12. Jahrhundert Stadtpatron Münchens, “Schutzheiliger für Weber, Homosexuelle, Prostituierte und von sexuellen Übergriffen Bedrohte”. Es sei Volksglaube, “dass kein Mensch, der das Bild ansehe, am selben Tag eines jähen Todes sterbe”. (Man muss ihn sich wohl etwa so vorstellen.)

Eataly hatte laut Website um 9 Uhr aufgemacht, doch als ich dort erst mal Obst und Gemüse ansteuerte, wurde ich vertrieben: Dieser Teil öffne erst um zehn. Na gut, bekommt mein Geld halt jemand anders. Salumi, Käse und Panettone für Silvester verkaufte man mir aber zum Glück. (Die plastikreiche Verpackung bereitete mir ein schlechtes Gewissen, aber die Silvestermenüs von Restaurants hätten mindestens so viel Müll ergeben.) Obst und Gemüse holte ich mir auf dem Viktualienmarkt nebenan.

Daheim betrieb ich eine ausführliche Runde Körperpflege, machte nochmal Milchkaffee – und stellte fest, dass ich frei hatte! Also gemütliches Lesen erst am Tisch, zum Frühstück Brot und mit Ziegenrolle und Sirupquitten, restlichen Spinat-Pie. Im Bett mit Füßehoch abwechselnd Zeitunglesen, Internetlesen, Arbeit an diversen Jahresrückblicke.

Sehr spät hörte ich die Post an den Briefkästen im Haus klappern. Herr Kaltmamsell holte unsere – darin enthalten eine wundervolle Überraschung von einer Blogleserin:

Das ist so großartig! Ich äußere im Internet den Wunsch, diese Erkenntnis zu “gesundem Essen” am liebsten auf Küchentücher gestickt zu besitzen – und jetzt tue ich das! In der neuen Küche bekommt die Stickerei einen Ehrenplatz.

Abends bereitete ich die Nachspeise für den Silvesterabend zu: Limoncello-Tiramisu, also mein Standardrezept, mit diesen Hinweisen von Bella abgewandelt. (Wenn es dann noch so heißen darf: Ich bin sicher, auch bei dieser Dessert-Erfindung aus den 70ern gibt es inzwischen eine “Nur-wenn-XY-ist-es-Tiramisu!!!EINSELF”-Bewegung.) Davon allerdings nur zwei Drittel, zum einen weil ich sonst Löffelbiskuits hätte nachkaufen müssen, zum anderen wies Herr Kaltmamsell vernünftig darauf hin, dass wir nur zu zweit sind.

Das Abendessen bereitete Herr Kaltmamsell zu. Ich hatte ihm einen Link zu Würzig-saurer Garnelensuppe aus Vietnam – canh chau tom geschickt, unter anderem weil ich wusste, dass er noch einen Block Tamarinde im Küchenschrank hatte. Wurde eine sehr gute Suppe, die kann es nochmal geben.

§

Autor Till Raether möchte für seinen nächsten Roman wissen, wie sich die 1970er angefühlt haben – und entscheidet sich, das über damals populäre Parfüms herauszufinden. Eine sehr gute Idee.
“Feinmachen”.

Ich habe sofort die Parfümflasche vor Augen, aus der meine Mutter sich in den 70ern beduftete: Es war ein spanisches Colonia, Joya, und sah so aus. Mein Vater benutzte nach jeder Rasur spanische Rasierwässer, die gerne mal bunt waren. (Meine Mutter erzählt ja, dass in ihrer Ingolstädter Jugend in den 60ern die Spanier auf Tanzveranstaltungen beliebte Partner waren: “Weil die immer so gut gerochen haben.” Deutsche Männer waren damals wahrscheinlich noch im Kernseifen-Stadium und hätten es weibisch gefunden, sich zu parfümieren.)

die Kaltmamsell