Journal Freitag, 18. Oktober 2019 – Daniel Mendelsohn, Matthias Fienbork (Übers.), Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich

Samstag, 19. Oktober 2019 um 8:47

Mendelsohns Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich, übersetzt von Matthias Fienbork ausgelesen. Das Buch war ein Geschenk von Buchhändlerin und Autorin Pia Ziefle für Herrn Kaltmamsell und mich, und bei mir schon mal: Volltreffer.

Mendelsohn, studierter Altphilologe, erzählt die Geschichte seiner Beziehung zu seinem Vater anhand der Odyssee nach: Er hat dazu ein Uni-Seminar gegeben, an dem sein Vater, Mathematiker und damals schon Rentner, gebeten hatte teilzunehmen. Die Beschäftigung mit Homers Epos bringt die beiden auch dazu, gemeinsam eine Themen-Kreuzfahrt auf den Spuren der Odyssee zu unternehmen. Dabei lernt man gleich viel über antike griechische Epen, die Geisteshaltung dahinter, und über eine amerikanisch-jüdische Familie, die sich Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem Kleinbürgertum hocharbeitet.

Ich las das Buch gefesselt wie schon lange nicht mehr, es hatte mir so viel zu sagen. Zum einen rief es Erinnerungen an meinen eigenen Griechischunterricht wach, vor allem an den Leistungskurs bei Richard Nusser. Er war damals ein junger Lehrer, wir waren sein erster Leistungskurs (der größte Kurs dieses Jahrgangs, aber schon damals war Altgriechisch an Gymnasien ein rares Randgebiet – 2004 habe ich einen nostalgischen Text darüber gebloggt). Vielleicht glich der Stil, in dem Herr Nusser seinen Kurs leitet, deshalb dem universitären Seminarstil, wie ihn Mendelsohn beschreibt – weil er selbst so frisch von der Uni kam. Wir fühlten uns ernst genommen, in keiner Phase meiner Schulzeit wuchs ich so viel.

In diesem Handlunsgsstrang vermittelt Mendelsohn durch die Passagen, die er im Seminar bespricht, und durch die Unterrichtsgespräche die Struktur der Odyssee, Hintergründe über Schlüsselbegriffe, auch die heutigen Reaktionen und Lesarten, daneben seine eigene Studiengeschichte mit Homer.

Zum anderen ist das hier aber auch ein Buch über seinen Vater Jay – wie der Titel schon sagt. Ein schwieriger Mensch, geprägt durch die brutale Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das brachte mich zum Nachdenken über meinen eigenen Vater, gerade weil er in so vieler Hinsicht anders ist als der beschriebene. Parallelen sah ich in der jetzigen Lebensphase, in der die Fürsorgerichtung sich langsam von Elternfürsorge für Kinder zu Fürsorge für die alternden Eltern dreht.

Mal wieder erinnerte ich mich an den Vorsatz, mir das Leben meiner Eltern von ihnen systematisch erzählen zu lassen – am liebsten in Gegenwart ihrer Enkel, denn es geht ja nicht nur um die Erinnerungen als Familiengeschichte, sondern auch um das Erlebnis des Erzählens.

Ein weiteres Thema des Buchs: das Lehren. Mendelsohn denkt an seine eigenen Lehrerinnen, Mentoren, sinniert, dass es immer spannend ist, wer aus einem Seminar Lebensveränderndes mitnimmt. Und er ist sich dessen bewusst, dass oft der oder die Lehrende am meisten von einem Kurs profitiert.

Ich kann schlecht beurteilen, wie das Buch bei jemandem ohne jeglichen Bezug zu Homer ankommt – kann mir aber vorstellen, dass es sogar ein guter Einstieg sein kann. Also: Große Leseempfehlung. (Die deutsche Übersetzung schien mir angemessen, nur an wenigen Stellen stolperte sie, an denen ich besonders amerikanische/umgangssprachliche Ausdrücke im Original vermute).

Hier eine lesenwerte Besprechung auf Geophon mit Interview-O-Tönen.

Im Guardian lobt Emily Wilson die Meisterschaft der Erzählstruktur und die Originalität des Buchs:
“An Odyssey by Daniel Mendelsohn review – a father, a son and Homer’s epic”.

Memoirs about reading are an interesting hybrid, located somewhere between criticism and personal recollection. An Odyssey is a stellar contribution to the genre – literary analysis and the personal stories are woven together in a way that feels both artful and natural.

§

Es war keine Wunderheilung über Nacht eingetreten, nach dem Weckerklingeln am Morgen meldete ich mich in der Arbeit krank. Ich stand zwar auf, um mit Herrn Kaltmamsell Milchkaffee zu trinken, doch nachdem ich ihn in den zweiten Tag seiner Fortbildung verabschiedet hatte, ging ich zurück ins Bett – und schlief nochmal ein paar Stunden (sicheres Zeichen für Krankheit, womit ich beruhigt war und meinem Körper glaubte, dass ich mich nicht nur anstellte und blau machen wollte). Um die Mittagszeit fühlte ich mich fit genug für Dusche und Straßenkleidung, auch für ein bisschen frische Luft: Draußen war nochmal ein heller, goldener und warmer Oktobertag. Ich machte eine kleine Einkaufsrunde zum Basitsch (für den Abend war mit Herrn Kaltmamsell Hiehnebriehe mit Tortellini verabredet, deren Zutaten besorgt werden mussten) und merkte, dass ich mal besser sehr langsam ging.

Daheim hatte ich dann richtig Hunger. Es gab ein Laugenzöpferl, dazu den ersten Granatapfel der Saison (Vitamin C!) mit Joghurt. Ich trank heißen Ingwer, dann war ich wieder bettmüde. Nochmal zwei Stunden tiefer Schlaf.

Erleichterung, dass meine Hüfte in den letzten Tagen zumindest beim Schlafen nicht zickte und ich mich im Bett nicht auch noch damit herumschlagen musste. Insgesamt litt ich ohnehin nicht allzu sehr, außerdem hatte ich den Eindruck, dass die Erkältung den Zeitraffer einlegt hatte: Bereits am ersten vollerkälteten Tag zeigten sich alle Phasen von Rachenweh über Rotz bis Husten.

Wieder wach buk ich Bagels und setzte das Huhn auf: Angebräunte Zwiebel, als Suppengrün nahm ich von den Gemüseresten, die wir in der Gefriere sammeln, Lorbeerblatt, Wacholderbeeren, Pfefferkörner, Salz.

Als Herr Kaltmamsell abends heim kam, war die Brühe fertig, ich schöpfte sie in einen eigenen Topf und erhitzte darin die gekauften Tortellini mit Ricottafüllung.

Danach gab es noch ein wenig Hühnerfleisch, außerdem Schokolade. Krankheitsgemäß früh ins Bett, ich begann die Lektüre von Margaret Atwoods The Testaments.

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In einem Interview lassen sich die Politikwissenschaftlerinnen Judith Götz und Eike Sanders fragen:
“Rechter Terror: Sind Männer das Problem?”

via @annalist

Judith Götz: Es handelt sich dabei um Männer, die an einen Maskulinismus appellieren. Frauen werden dabei als Opfer konstruiert und Männer als Beschützer, die den imaginierten Untergang aufhalten können, indem sie sich zur Wehr setzen. In diesem paranoiden Wahn scheint dann oft jedes Mittel recht. In ihrer Vorstellung hat der Krieg längst begonnen. Diese Weltsicht appelliert insbesondere an Männer.

Frau Sanders, ist diese Weltsicht neu, oder gibt es sie schon immer?

Eike Sanders: Die Figur, dass der Mann berufen ist, die Frau und damit den Volkskörper zu beschützen, ist alt. Neu ist, dass der Feminismus und Gender-Theorien und die Auflösung der Geschlechterordnung, die als „natürlich“ apostrophiert wird, als Feindbild explizit in den ansonsten sehr dünnen Manifesten der Attentäter auftaucht.

(…)

Judith Götz: Antifeminismus hat für die extreme Rechte auch viele Vorteile. Unter dieser Klammer kommen viele unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zusammen. Diese kommen auch aus der Mitte der Gesellschaft, sie verteidigen die Dichotomie der Geschlechterordnung. Viele Menschen erleben das als Orientierung und Beruhigung. Alles andere wird als bedrohlich wahrgenommen. Antifeminismus hat dadurch eine Brückenfunktion zwischen der Mitte und Rechts.

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 17. Oktober 2019 – Angriff der Erkältungsviren

Freitag, 18. Oktober 2019 um 7:28

Der Verdacht beim Aufwachen bestätigte sich im Lauf des Vormittags: Auch ich stehe wohl unter Attacke eines Erkältungsinfekts. Jetzt wird es nur spannend, in welcher Gefechtsstärke er durchmarschiert.

Morgens hastiges Bloggen über den Theaterabend, Radeln durch freundlichen Sonnenaufgang in die Arbeit. Dort Anknüpfen an die Hektik vom Vortag – zu meiner Beruhigung hatte mein früher Feierabend keinen Schaden angerichtet.

Mittags die zweite Hälfte des Nudel-Tomaten-Gurken-Minimozzarella-Joghurt-Majo-Gemischs vom Vorabend. Nachmittagssnack zwei Bananen.

Die Erkältungssymptome wurden immer unangenehmer. Gestern konnte Herr Kaltmamsell nicht wie sonst unseren Ernteanteil abholen, also war mein Plan gewesen: Pünktlicher Feierabend, Ernteanteil holen, heim bringen, dort Turnbeutel mitnehmen, damit zum Rehasport radeln. Doch in einer schier übermenschlichen Anstrengung erwachsen und vernünftig zu sein, sagte ich den Rehasport telefonisch ab. Zwar wäre der schon irgendwie gegangen, aber sicher nicht gesünder gewesen als Ruhe daheim. Ich holte also lediglich den Ernteanteil, brachte ihn heim, ging dann nochmal kurz los, um in der Apotheke alles für die Bekämpfung der anstehenden Erkältungssymptome zu besorgen (Halspastillen, Nasenspray, Erkältungslikör) und drüben beim Biosupermarkt die Milchversorgung des Haushalts sicherzustellen. Allein dabei machten mir bereits Schweißausbrüche und Schwindel klar, dass Sport gar keine gute Sache gewesen wäre.

Wer krank wird, sollte dringend ihren kulinarischen Gelüsten folgen. Also gab es zum Nachtmahl nicht die donnerstagabendlich übliche Riesenschüssel Salat (über die ich mich sonst immer sehr freue – mein Soulfood kann schon auch so aussehen), sondern nur die unangekündigte Hand voll Feldsalat aus Ernteanteil mit Resttomate – und eine Schüssel Griesbrei, auf die ich sehr große Lust hatte.

Nebenher ließ ich die Kenwood Bagelteig kneten, damit die Teiglinge über Nacht im Kühlschrank gehen konnten.

Auf das Entspannungsbad verzichtete ich, das wollte ich meinem eh wackligen Kreislauf nicht zumuten. Früh ins Bett mit nur geringer Hoffnung auf Wunderheilung im Schlaf.

§

Die Revision gegen seine Verurteilung wurde abgewiesen, der BGH hat die Haftstrafe gegen den ehemaligen Präsidenten der Musikhochschule München, Siegfried Mauser, wegen sexueller Nötigung bestätigt.

Maria Collien, Mezzosopranistin und Nebenklägerin im Prozess gegen ihn, kann sich jetzt öffentlich zum Fall äußern. Sie tut das im Blog des Harfenduos Laura Oetzel & Daniel Mattelé und erklärt, warum sie sich die Nebenklage aufgehalst hat – denn dass es mit einer schlichten Aussage nicht getan ist, sondern jede, die ihren Missbrauch durch Prominente sichtbar macht, durch die Öffentlichkeit gezerrt wird, als sei sie diejenige, die sich etwas zuschulden hat kommen lassen, hindert ja die meisten betroffenen Frauen genau daran:
“Wie wagen sie es nur?”

Es ist schon seltsam, dass sich bis heute ein so ungeheuerliches Ausmaß an Interpretationsfreiheit gehalten hat, was die ungeschriebenen „Künstlerprivilegien“ betrifft oder besser gesagt, das häufig raubtierhafte Benehmen dessen sich, weit mehr als vermutet, die sogenannten (großartigen) Künstler zu bedienen erlauben oder gar erhaben zu glauben. Viele denken, sich nicht mit moralisch und ethisch integerem Verhalten verantworten zu müssen, weil sie als bewundernswerte Menschen, Künstler oder gar Stars gehandelt werden.
Diese selbstdeklarierten Übermenschen, wie wagen sie es nur???

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 16. Oktober 2019 – Melancholia in den Kammerspielen

Donnerstag, 17. Oktober 2019 um 8:43

Schlechte Nacht. Vormittags fühlten sich meine Beine dann so schwer an, als sei ich am Vortag 16 Kilometer gejoggt. Ich hinkte gestern wieder besonders stark.

Wieder ein durch und durch sonniger Tag, aber die Temperaturen sinken langsam auf Jackennotwendigkeit.

Der Arbeitstag ging ein wenig durcheinander los, wurde dann auch noch hektisch. Und das ausgerechnet gestern, wo ich mal wirklich früher gehen wollte, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ich mein Theaterabo wahrnehmen würde – ich weiß inzwischen, dass ich nach einem normalen Neun-Stunden-Arbeitstag keinerlei Energie für Abendunternehmungen außer Essen übrig habe.

Vormittagssnack Nüsse und eine Banana, mittags frische rote Paprika und Tomate, dann Birne und Banane mit Hüttenkäse.

Ich schaffte es, das Büro tatsächlich schon um halb vier zu verlassen, obwohl das eine oder andere brannte. (Was allerdings nicht eigentlich meine Sachen waren, doch Menschen fielen aus, Menschen waren weg – ich fühlte mich verantwortlich.)

So radelte ich erst zur Bank, dann zum Buchladen am Josephsplatz, schließlich zum Stachus, um im Kaufhaus sorgfältig ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen. Hunger hatte ich inzwischen auch, Herr Kaltmamsell war beruflich aushäusig, also besorgte ich fürs Abendessen Tomaten, Gurke, Nudeln und kleine Mozzarella.

Fürs Techniktagebuch über die neueste Generation stählerne Kuh geschrieben.

Ich konnte es kaum fassen, dass ich dann tatsächlich zu den Kammerspielen radelte – allerdings in Jeans, zum Umziehen reichte die Energie nicht; tut mir leid, liebe andere Theaterbesucher, diesmal kein feines Kleid.

Gegeben wurde Melancholia. Ich hatte vorher nichts darüber gelesen, außer dass das Stück auf dem gleichnamigen Lars von Trier-Film basierte, doch dass der Zuschauerraum nicht mal halb voll war, verriet mir: Wohl keine umjubelte Erfolgsinszenierung.

Das Inszenierungsprinzip: Die Schauspieler erzählten das Stück mit verteilten Rollen. Sie interagierten nicht, sondern sprachen immer ins Publikum. Es gab kein Bühnenbild außer einem Boden-bedeckenden Podest, auf dem sich die Darsteller bewegten, und einem Dutzend Scheinwerfern, dass von der Decke hing und dynamisch Richtung Publikumsraum strahlte, keine Requisiten. Erst durch die Fotos auf der Website sah ich, dass die Oberfläche des Podests stark spiegelte und damit Effekte erzeugte – in der fünften Reihe, in der ich saß, sah ich nur die Unterseite der Konstruktion.

Ein Lesedurchgang also, ein Hörspiel – ausgesprochen kostengünstig.

Ich kenne den Film nicht, beim Rausgehen nach den zwei Stunden ohne Pause bemerkte jemand hinter mir: “Schauspieler erzählen einen Film nach, hm.” Die jetzt hinterherglesene Interpretation des Kammerspiel-Programmhefts sah ich dabei nicht. Für mich war das eine zweigeteilte Geschichte innerer und äußerer Depression: Der längere erste Teil erzählt, wie machtlos eine Depressive gegenüber ihrer Krankheit ist – und wie falsch eine verständnislose Umwelt darauf reagiert.

Die Hauptfigur Justine (umwerfend gespielt von Julia Riedler) ist Mittelpunkt einer luxuriösen Hochzeit, geliebt und beruflich erfolgreich – doch das Gefühl der Deplaziertheit und ihre Niedergeschlagenheit knüppelt sie auch an diesem Jubeltag bis zur Gelähmtheit nieder. Sie schämt sich dafür, ihr schlechtes Gewissen über ihre Undankbarkeit deprimiert sie noch mehr. Justines Schwester Claire (gespielt von Eva Löbau, die ihre Rolle aus meiner Sicht eher handwerklich-mechanisch anging), die die Hochzeit organisiert hat, schwankt zwischen Vorwürfen und immer neuen Aufmunterungsversuchen, die ob ihrer Wirkungslosigkeit Justines Stimmung weiter verschlechtern. Majd Feddah als Justines bedrohlicher Schwager und Agenturchef übt immer größeren Druck auf sie aus, treibt sie von Depression in Verzweiflung. Als Abschluss dieses ersten Teils ruft Justine eine apokalyptische Vision ins Publikum.

Der zweite Teil ist der äußere Untergang: Auf die Erde rast der Planet Melancholia zu. Während die Schauspieler den immer schlimmeren Tumult bis zum Einschlag des Planeten erzählen, bewegen sie sich immer weniger durch den Bühnenraum, bis sie am Ende aufgereiht am Podestrand zum Publikum sitzen.

Dieser letzte Teil wurde mir arg lang, weil ich nicht mehr sitzen konnte (meine Mutter als Theater-Veteranin seit Jugendtagen wird ja immer misstrauisch, wenn ein nicht sehr kurzes Stück keine Pause hat: haben die Angst, dass das Publikum in der Pause flieht?) und mein rechtes Bein schmerzend nicht wusste wohin. Dennoch hatte ich einen bereichernden Abend – mit deutlich mehr entspannenden Humormomenten, als ich aufgrund des Titels erwartet hatte.

Lesenswerte Rezensionen vom Deutschlandfunk und in der Süddeutschen, etwas wohlwollender in der FAZ.

Vor allem aber innerer Jubel: Ich habe es ins Theater geschafft!

Heimradeln durch die ruhige Herbstnacht, zu Hause machte ich dem ebenfalls gerade erst eingetroffenen Herrn Kaltmamsell eine eher symbolisch heilende Honigmilch.

§

Ian Dunt versucht nochmal ganz von vorne und für Anfänger zu erklären, worum sich das Grenz-Problem in den Brexit-Verhandlungen mit der EU dreht. (Dass auch er nicht ohne Verletzungen bis hierher gekommen ist, sieht man an der Überschrift.)
“Brexit: What the bloody hell is going on now?”

Wherever you put that line, it breaks promises made to someone. They’ve been countless attempts to find a sneaky way out of this problem, but none have worked. No matter how clever you are, there is no way around the fact that customs and regulatory borders exist and that you have to put them somewhere.

via @dalcashdvinsky

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 15. Oktober 2019 – Oktobersommer mit Dim-Sum-Abend

Mittwoch, 16. Oktober 2019 um 7:02

Diese abendlichen Entspannungsbäder bringen meinen Körperhygienerhythmus durcheinander.
Weil ich Montagabend gebadet hatte und sauber ins Bett gegangen war, nachts auch nicht sehr geschwitzt hatte, brauchte ich gestern Morgen nicht zu duschen. Meine Haare waren so wenig schlafverlegen, dass nasse Hände für eine brauchbare Frisur reichten. Ich war also 15 Minuten früher fertig als sonst, hätte den Wecker auf später stellen können.

Vermutlich deshalb kam ich auf die Idee, ein Parfum meiner Jugend aufzulegen: Die Flasche Dalí steht seit mindestens 25 Jahren dekorativ im Badregal, ihr Flüssigkeitspegel nur minimal gesunken (im Gegensatz zu den meisten anderen Flaschen meiner kleinen Sammlung, deren Inhalt trotz Sprühventil und geschlossenem Deckel erstaunlich schnell verdunstet; Organza habe ich zum Beispiel nur kurze Zeit nach Kauf verwendet, doch mittlerweile ist die Flasche halb leer). Ich war einfach neugierig, was der Duft, den ich nach seinem Erscheinen 1985 bis Ende der 80er hin und wieder trug, heute mir mir machen würde. Im Büro stellte ich schnell fest, dass ich auch olfaktorisch eher nicht an die 80er erinnert werden möchte. Aber da musste ich nächsten Stunden halt durch.

Im Morgengrauen brauchte ich beim Radeln in die Arbeit noch Handschuhe, doch über den Tag wurde es wieder bombig warm.

Wieder eine Besprechung mit Alpenblick. Der höchste Berg am Ende des Gebirgszugs müsste die Zugspitze (d’uh) sein.

Mittags Tomaten und Gurken mit einem Laugenzöpferl, nachmittags Quark mit Maracuja – ich bin immer wieder begeistert, dass so wenig Obst so viel Geschmack verbreiten kann.

Auf dem Heimweg Einkaufsstopp beim Vollcorner, danach stopfte ich meine Jacke in den Radlkorb: Es war zu warm für Jacke.

Zum Nachtmahl war ich mit Herrn Kaltmamsell aushäusig verabredet: Der Ernteanteil der Woche war aufgegessen, wir hatten frei. Ich hatte einen Tisch zum Dim-Sum-Essen im LeDu in der Klenzestraße reserviert (ist mittlerweile eine Gruppe von vier Lokalen in ganz München).

Schön eingerichtetes Restaurant, für einen Menüpreis von 24 Euro wählt man vier Dim Sum von der Karte. Die Auswahl fand ich genau richtig abwechslungsreich und groß, auch fleischlos gab es Einiges. Ich hatte Lust auf einen Cocktail und bestellte einen Munich Mule.

Die Dim Sum waren sehr gut, offensichtlich selbst gemacht und sehr aromenreich.
Meine Auswahl:

Wan Tan mit Preiselbeer-Chili-Dip, gefüllt mit Garnelen, Schweinefleisch und Shiitakepilzen.

Dumplings mit mit Bio–Schweinehackfleisch und Sauerkraut, Glasnudeln, Ingwer, Lauchzwiebeln (Favorit 1).

Aubergine in hausgemachter Yuxiang-Soße mit Hefekloß (Favorit 2 – unglaubliche Aubergine außen knusprig, innen cremig).

In Lotusblätter gewickelter Klebreis mit Shiitake-pilzen und Hühnerbrustfilet, Koriander-Dressing – in Brighton immer einer meiner Lieblinge, hier mit deutlich frischerem Lotusblatt, das mir entgegenduftete, Füllung reichhaltiger als in Brighton weil mit viel geringerem Reisanteil.

Herr Kaltmamsell (der jetzt so richtig erkältet war, der ärmste) hatte bestellt:

Suppe mit veganen Klößchen (aus Karotten, Zucchini und Edamame).

Shao Mai mit Klebreis, Sojasprossen, Karotten, Koriander, Erdnuss und Edamame.

Schweinerippchen in Zitronengras-Aprikosensoße – seine Standardbestellung beim Dim-Sum-Essen.

Und die sehr interessante gefüllte, frittierte Lotuswurzel, die wir vergessen haben zu fotografieren.

Daheim steckte ich Herrn Kaltmamsell mit einer Tasse heißer Honigmilch ins Bett, selbst nahm ich brav mein Entspannungsbad und las im Bett länger als geplant.

§

Andrea Diener hat Saša Stanišić gleich nach seinem Gewinn des Deutschen Buchpreises gesprochen:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/T-SiBX5J2fI

Und jetzt weiß ich nicht nur, dass Saša Stanišić Twitterthreads und öffentliche Dokumentarbeit fürs Romaneschreiben nutzt, sondern dass der prämierte Roman Herkunft in einem Textadventure endet. Wird Zeit ihn zu lesen.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 14. Oktober 2019 – Grippegeimpft

Dienstag, 15. Oktober 2019 um 6:37

Das Wetter bleibt gruslig schön. Gestern brannte die Sonne zeitweise so heiß, dass ich die Bürofenster schloss, weil es trotz Jalousien zu warm wurde. Dennoch war die Luft in meinem Büro schwüler und stickiger als im Hochsommer.

Erste Grippeimpfung meines Lebens: Der Arbeitgeber bietet sie als Geschenk an, dieses Jahr war ich endlich so weit, dass das Pflichtbewusstsein (Herdenschutz!) den Hochmut (hatte noch nie Grippe, bin robust, brauche ich nicht) überwog. Leider hatte ich meinen Impfpass daheim vergessen, konnte also nicht mit seiner Buntheit angeben und musste die Bescheinigung dieser Impfung als losen Zettel einlegen.

Kurzer Stopp beim Heimradeln, um Obst und Gemüse für die Bürobrotzeit zu besorgen.

Es fühlte sich wieder nach Sommerabend an, doch war es schon um halb sieben dämmrig (Fledermäuse!).

Zum Nachtmahl servierte der weiter kränkelnde Herr Kaltmamsell Ragú aus Salsicce mit Kartoffeln und Eiern (das meiste Gemüse aus Ernteanteil).

Nach der Tagesschau las ich weiter in Mendelsohns Odysee-Buch. Frühes Entspannungsbad, früh im Bett um weiterzulesen.

Irgendwelche Nachbarn nutzen die milde Nacht für fröhliche Geselligkeit mit Freunden am Balkon, ich konnte nur mit Ohrstöpseln und geschlossenen Fenstern einschlafen.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 13. Oktober 2019 – Spätsommer im Oktober

Montag, 14. Oktober 2019 um 6:40

Ein erholsamer Sonntag mit Sonne und spätsommerlicher Wärme.

Ich wachte mit migränoidem Kopfweh auf, doch Ibu half. Allerdings brachte mich die Wackligkeit darauf, dass die Schwimmpläne fürs Dantebad vielleicht doch nicht die beste Idee waren. Ich strich sie und hatte plötzlich einen völlig freien Sonntag.

Draußen strahlte die Sonne, die Welt leuchtete in Technicolor.

Mit diesem Draußen wollte ich unbedingt etwas machen. Erst mal ging ich Semmelnholen und spazierte über den Südfriedhof zurück.

Nach dem Frühstück auf dem Balkon Zeitunglesen. Zum Walnüsseknacken (aus Schwägerins Garten) setzte ich mich lieber innen an die offene Balkontür – ich fürchtete, auf dem Balkon wäre das Knacken zu laut gewesen und hätte die Nachbarn genervt, die sicher auch nochmal ihren Balkon nutzten.

Als ich keine Lust mehr hatte, bügelte ich die Wäsche der letzten beiden Maschinen weg.

Dann wieder Lesen, jetzt aber Buch.

Als Snack verarbeitete Herr Kaltmamsell den ersten Ernteanteil-Grünkohl der Saison zu Chips. Draußen wurde das Sonnenlicht immer goldener, ich wollte nochmal raus. Herr Kaltmamsell begleitete mich über den Südfriedhof, es roch ganz verrückt nach Sommerabend und gleichzeitg nach Herbst. Auf dem Friedhof Fledermäuse am Himmel zwischen den Kronen der riesigen Bäumen.

Zum Abendbrot Ernteanteil-Kürbis in Schnitzen aus dem Backofen, dazu Käse.
Entspannungsbad mit etwas Dehnen.

§

Frau Gedankenträger warnt davor, Politik beim Beschimpfen zu vereinfachen – bei allem Unmut.
“Spiel mit dem Feuer”.

Möchten wir wirklich gerade in dieser Zeit dazu beitragen, das Vertrauen in die Arbeit und Funktionsweise unserer Demokratie zu erschüttern? Genau das scheint mir momentan leider verstärkt und an vielen Stellen zu geschehen, zudem von Menschen, von denen ich es nicht erwartet hätte. So twitterte Igor Levit: „Frage an die Community: warum nochmal ist die GroKo noch da? Was ist ihre Existenzgrundlage, ihre Daseinsberechtigung?“

Ich möchte dagegen fragen: Im Ernst? Die Existenzgrundlage der GroKo sind die letzten Bundestagswahlen. Von einem zweifelhaften Begriff wie Daseinsberechtigung schonmal ganz zu schweigen. Und was soll denn die Alternative zu unserer parlamentarischen Demokratie sein? Ohne das aufzuzeigen, bleibt ein solcher Tweet pure Agitation.

§

30 Jahre war Susanne Knaul Nahost-Korrespondentin, zuletzt viele Jahre für die taz. Jetzt kehrt sie zurück nach Deutschland. Eine persönliche und sehr aufschlussreiche Geschichte von 30 Jahren Israel.
“Es war Liebe”.

§

Immer wieder wird von Frauen gefordert, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sofort und konsequent anzuklagen. Wie viel dagegen sprechen kann und warum das nicht so einfach ist, zeigt der aktuelle Fall einer beruflich sehr erfolgreichen Frau:
“Geschasste BR-Studioleiterin erhebt schwere Vorwürfe”.

§

Die National Portrait Gallery in London zeigt diesen Herbst Pre-Raphaelite Sisters:
“More than tragic muses: female pre-Raphaelite artists finally take flight”.

via @Hystri_cidae

Canonical exhibitions of pre-Raphaelite art, such as the landmark exhibition at the Tate in 1984, have routinely relegated women to minor roles as muses, lovers and disappointed wives.

(…)

“In this exhibition we wanted to restore agency to the many women associated with the pre-Raphaelite story whose contributions have never been fully acknowledged,” explains Jan Marsh, co-curator of the show. What Marsh and her colleague Alison Smith triumphantly demonstrate is not only that women produced work that was easily the equal of their male friends, brothers and uncles, but that they did so with the full self-consciousness of professional artists.

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 12. Oktober 2019 – #12von12

Sonntag, 13. Oktober 2019 um 9:03

Am gestrigen 12. des Monats konnte ich mich mal wieder an #12von12 beteiligen (den Tag über fotografieren, davon 12 Bilder posten, hier wird gesammelt), allerdings erinnerte ich mich erst am Vormittag daran.

Bis dahin hatte ich ausgeschlafen, war mit Kopfweh aufgewacht, das aber durch eine Aspirin zu heilen war. Ich hatte gebloggt, eine Waschmaschine gefüllt und in den wundervoll sonnigen Tag hinausgeschaut. Und, wie ich twitterte:

“Specht!”


“Eichhörnchen!”


“Meiserl!”

(An einem friedlichen Herbstsamstagmorgen beschränkt sich die Konversation zwischen Herrn Kaltmamsell und mir gerne mal auf Fensterguckhinweise.)

Um die Mittagszeit würde ich mit Herrn Kaltmamsell zu seinen Eltern nach Augsburg fahren, bis dahin war Zeit für wenigstens ein bisschen Bewegung auf dem Crosstrainer (unangestrengte 45 Minuten konnten doch meiner verknoteten Hüfte nicht schaden).

Kurze Strampelpause, als ich die Handtücher und Tischwäsche aus der Waschmaschine holte, dann ging es weiter mit diesem Ausblick.

(Seit letzter Woche hängt ein Brief der Hausverwaltung an der Eingangstür, dass die Schrotträder da draußen Ende des Monats entsorgt werden.)

Danach versuchte ich ein wenig Dehnen – und kam zu meiner Überraschung nach Monaten mal wieder an den rechten Hüftbeuger ran (sonst blockierte immer alles schmerzhaft, bevor ich auch nur in die Nähe einer Dehnhaltung kommen konnte). Und danach konnte ich das rechte Bein wieder schmerzfrei heben, zum Beispiel über den Badewannenrand. Ich ahnte, dass das nur vorübergehend sein würde, doch wieder habe ich meine Hüfte ein bisschen besser kennengelernt.

Duschen und anziehen, ich ging noch kurz Einkaufen: Milch, Milchprodukte und Käse fürs Wochenende im Biosupermarkt. Es war überraschend warm, die Jacke über meinem T-Shirt war unnötig.

Besorgt hatte ich mir auch ein kleines Frühstück. Am Stil unten war ein kleiner Apfel aus Ernteanteil gehangen (ich bin zu bequem zum Abfieseln eines kleinen Kerngehäuses und esse es einfach mit).

Das Bayernticket hatte ich bereits per Bahn-App gekauft, jackenlos spazierten wir gemütlich zum Bahnhof.

Rätselhafter Zettel am Bahngleis. Eine kurze Recherche im Zug ergab, dass ein “Bremsproben-Geber” wohl eine Druckluft-Quelle ist, mit der der Luftdruck der Bremsanlagen im Zug gemessen oder befüllt wird.

Wir stiegen (pünktlich) wieder Augsburg Haunstetterstraße aus, nahmen von dort eine Tram und einen Bus zu Schwiegers. Dort Erkundigungen nach dem verletzten und operierten Herrn Schwieger, der jetzt seine Reha antritt.

Auch meine Eltern waren da, alle bekamen köstlichen Datschi – wo, wenn nicht hier (es ist bis heute nicht ganz geklärt, woher Augsburg den Spitznamen Datschiburg hat).

Meine Eltern fuhren uns auch zurück zum Bahnhof. Wir hatten noch ein wenig Zeit bis zur Abfahrt unseres Zugs und spazierten durch den benachbarten Protestantischen Friedhof.

Ein zauberhaftes Idyll, doch auch mit einigen eher bizarren Grablegen – ich nahm mir einen gründlicheren Besuch vor.

In München spazierten wir um den Bahnhof herum: Ich wollte die Lücke genauer besehen und fotografieren, die der Abbruch des Bahnhofsgebäudes hinterlässt (hatte sie am Dienstag zuvor vom Radl aus entdeckt).

Als Foto nicht wirklich beeindruckend – einen weggen Bahnhof sieht halt nur, wer ihn als vertraute Landmarke kannte.

Auf dem Heimweg wieder oktoberliches Technicolor, weiterhin spätsommerlich warm.

Wäre ich Designerin, wollte ich dieses Leuchten der Kastanie in einer Lampe umsetzen.

Daheim gleich noch eine Maschine Wäsche gefüllt, vielleicht raffe ich mich am Sonntag zum Bügeln auf.

Herr Kaltmamsell servierte Nachtmahl: Zum einen Nudeln mit der Fleischsoße vom Vorabend, zum anderen gebratenen Radicchio aus Ernteanteil. Dazu ein Glas Rotwein.

Der Herr an meiner Seite kränkelt erkältet, wir gingen früh zu Bett (ich hatte so sehr keine Lust auf ein Vollbad, dass ich es bleiben ließ).

Meine derzeitige Lektüre, Daniel Mendelsohn, Matthias Fienbork (Übers.), Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich, gefällt mir gut: Ich habe Spaß daran, mich an die Odyssee und ihren Hintergrund zu erinnern, lasse mir von Mendelsohn gerne parallel die eigene Vater-Sohn-Geschichte erzählen.

§

Ein bissl Spaß mit Extinction Rebellion Australia: Civil Disco-bedience.

die Kaltmamsell