Nachts immer wieder Regen. Auch sonst war die Nacht unruhig: Unter den am Dienstag und Mittwoch eingetroffenen neuen Patienten und Patientinnen sind Party People, die im Raucherpavillon vorm Haus (und damit vor meinem Fenster) viel und lauten Spaß hatten, ein neuer Nachbar kennt die Funktion von Türklinken nicht und wirft seine Zimmertür ins Schloss. Zum ersten Mal benutzte ich zum Schlafen meine Ohrstöpsel.

Um 5 Uhr aufgewacht, gebloggt, Zeitung gelesen, draußen nasses Wetter.
Der erste Termin war ein freiwilliger, um 7.30 Uhr war offenes Qi Gong angeboten. Gefällt mir weiterhin sehr gut, fühlt sich gerade als Start in den Tag ideal an.
Fürs Frühstück blieb bis zum nächsten Therapietermin wenig Zeit, doch nachdem ich jetzt bereits drei Stunden wach war, hatte ich sogar Hunger. Die Schüssel Muesli mit Leinsamen und Kleie musste halt schnell gehen.
Schnell gehen musste dann auch das Umziehen für “Gruppe Bewegungsbad”, diesmal Wassergymnastik mit Schwimmnudel. Und meine Güte, hatte ich eine Gaudi! Dieses Schaumstoff-Vieh war ungemein schwer zu bändigen, ich fand mein ständiges Umkippen und Untertauchen ausgesprochen lustig. (Wasser ist einfach mein Element, Süßwasser wohlgemerkt, ich schiebe das auf den Säuglingsschwimmkurs, den meine Mutter seinerzeit mit mir absolvierte.) Bei einer Übung sollten wir die Gumminudel zwischen die Beine klemmen und uns draufsetzen (denkwürdiges Kommando der Trainerin: “Hände weg von der Nudel!”), dann in dieser Haltung radlfahren. Hahaha, ich bitte Sie: Sie hätten doch auch verschiedene Fahrradtypen durchgespielt, von Hollandrad (lockere Armhaltung nach vorne) über Bonanzaradl (Hände deutlich über Wasser) bis Rennrad (nach vorne untertauchen, fast von der Nudel kippen, halb tot lachen)?!
Anschließend im Zimmer gründliches Duschen und Körperpflege, bald war es Zeit für den Massagesessel. Wieder nett, erhöhte aber im Grunde nur die Sehnsucht nach einer medizinischen Menschenmassage.

Dann Nordic Walking, nach dem Einführungstermin jetzt eine ernsthafte Einheit. Wir marschierten unter Anleitung durch den Kurpark und ein Stückchen weiter (inklusive Querung einer Straße – Anlass für das eine Geschlechterklischee, das bislang unbewitzelt geblieben war: FRAU AM STEUER!). Die Sonne war herausgekommen, das frisch beregnete Grün quietschte vor Elan, grad schön war’s. Im Anschluss reality check: Einige aus der Gruppe konnten es nicht fassen, dass sie sich anscheinend gerade eine ganze Stunde am Stück bewegt hatten (mehrfacher Uhrencheck, wiederholtes Nachrechnen), ebensowenig dass sie dabei schwitzten – das war offensichtlich eine neue Erfahrung. So viel zur Jugend heutzutage, die sich ja (böse Computer, böse Handys) gar nicht mehr bewegt: Ein Großteil der definitiv nicht mehr Jugend hat’s wohl noch nie getan.
Ordentlich Mittagshunger, spätes Essen: Ich hatte mich für den Hering Hausfrauen Art entschieden. Schmeckte sehr gut, anschließend Espresso. Dann versucht ich schnell zu verdauen (kann man das beschleunigen?), denn nur 45 Minuten später hatte ich einen Termin im Maschinenraum. Obwohl ich überhaupt keine Lust darauf hatte, lief es ganz gut; auch wenn immer wieder betont wird, dass es hier um Kraft-Ausdauer geht, werde ich an der Beinpresse das Gewicht erhöhen müssen: Wenn ich auch im dritten Satz dreimal mal so viele Wiederholungen schaffe wie vereinbart und selbst dann noch weiter könnte, ist es zu wenig.
Jetzt war ich wieder verschwitzt, wusch mich ein wenig – und vertrieb mir die Zeit, bis ich Herrn Kaltmamsell vom Bahnhof abholen konnte, er besuchte mich übers Wochenende. (Sein erster Satz in meinen Armen nach “Hallo”: “Jetzt hast du zwei Tage Zeit, dich um mich zu kümmern.” Genau so sah ich das auch.)
Ich brachte den Herrn in seine Unterkunft gleich bei der Reha-Klinik und wollte ihm dann eigentlich meine Entdeckungen in der alten Kuranlage zeigen. Doch jetzt krachten Gewitter mit Regengüssen, hielten uns eine ganze Zeit in der Wandelhalle fest. Nachdem wir die Touchscreen-Inhalte der Tourist Information erschöpfend gelesen hatten und der Regen gerade mal ein wenig nachgelassen hatte, verlegten wir das geplante Abendessen beim Italiener vor.

Wir wurden sehr freundlich und durchaus passabel bewirtet (Fischsuppe – eher Meeresfrüchtesuppe -, Calamari vom Grill / Auberginen Parmigiana , Panna cotta), vor allem bekam ich nach zwei Wochen endlich mal wieder Alkohol! Und ausgezeichneten Espresso!
Und endlich mal wieder Herrn Kaltmamsell. Erst im Gespräch mit ihm wurde mir klar, was die Reha bisher vor allem gebracht hat: Dass ich Tatsachen ins Auge sehe. Meine Bandscheiben induzierten Schmerzen sind ein chronisches Leiden, das wird nicht wieder gut. Ich kann aber lernen damit umzugehen – unter anderem indem ich mir eingestehe, dass ich nicht so leistungsfähig wie mit 20 oder 30 bin und dass es völlig in Ordnung ist, mir das Leben mit Hilfsmitteln zu erleichtern. Es ist sehr wahrscheinlich, dass mir das Runterbeugen zum Boden auch künftig nur in Ausnahmen gedankenlos und schnell möglich ist. Also ist es zum Beispiel eine gute Idee, meine bisherigen Schaufel und Besen durch die Variante am langen Stecken zu ersetzen, wie sie zum Beispiel auch in der Gastronomie eingesetzt wird – aus guten Gründen. Nein, das ist kein Sich-gehen-lassen oder Kapitulation, sondern vernünftiges Haushalten mit Ressourcen. Sonst krähe ich doch auch ständig, dass ich mit dem Altern keine Probleme habe; doch Altern ist halt nicht nur weißes Haar, Falten, erschlafftes Gewebe und schwindende sexuelle Attraktivität, sondern auch körperliche Leistungsfähigkeit. Mögen andere über Botox und plastische Chirurgie nachdenken, damit muss ich mich auseinandersetzen.
Was ich auch gelernt habe: Nein, das ist nicht meine Schuld. Die einen klettern noch mit 70 so gut wie schmerzfrei am Watzmann, die anderen hinken schon mit 45 artrotisch – trotz Bewegung und weitgehend lasterfreiem Leben. Es gibt viele körperliche Aspekte, die man halt nur bedingt kontrollieren kann. (@ankegroener verlinkte den passenden Cartoon dazu.)
Die Nacht musste ich leider allein verbringen: Uns wurde im Einführungsvortrag zu Klinikdingen bedeutet, dass nach Torschluss um 22.30 Uhr zwar nicht nachgezählt werde, doch ein Fernbleiben über Nacht als Abbruch der Therapie angesehen werde. 
die Kaltmamsell