Da, wo ich herkomme, hat das Volksfest keinen eigenen Namen wie „Oktober-“ oder „Gäuboden-“. Es heißt einfach Volksfest und findet zweimal im Jahr statt: In größerem Stil zu Pfingsten (na gut, das heißt dann Pfingstfest – nicht wesentlich origineller) und etwas kleiner im Herbst (Herbstfest). Meine Mutter erklärte mir seinerzeit, das Herbstfest sei kleiner, weil all die großen und atemberaubenden Karussels zur gleichen Zeit auf dem Oktoberfest in München stünden (was kaum sein kann, es gibt sicher genug Schausteller für mehr als ein Volksfest gleichzeitig).
Als ich sehr klein war, lag der Volksfestplatz zentral zwischen Hallenbad und Freibad. Doch schon bald zog er zwischen Stadtmauerring und Grüngürtel und war viel größer.
Zu den ganz wenigen Erinnerungen an meinen polnischen (Stief-)Opa, die ich glaube zu haben, gehört die, dass er mir auf dem Volksfest Lose beim Roten Kreuz kaufte. Die Erinnerungen an diesen einarmigen Mann mit Hut (damals der einzige Mensch, der mich großzügig mit Süßigkeiten versorgte, die wir gemeinsam beim Getränke- und Lebensmittelhändler Kreidl kauften) sind damit wohl meine frühesten Erinnerungen, denn er starb, als ich drei war.
Die Lose vom Roten Kreuz kaufte mir danach sogar meine Mutter: Sie betonte zwar hier wie bei allen Losständen, dass daran nur der Anbieter verdiene, eine Teilnahme also Abzocke sei, doch beim Roten Kreuz gehe das draufgezahlte Geld schließlich an einen guten Zweck.
Karussels fuhr ich als Kind sehr gerne, auch die wilderen. Ob ich wohl ein bestimmtes Budget dafür von meinen Eltern bekam, das ich mir selbst einteilen musste? Oder setzten sie mir eine Obergrenze an Fahrten? Ich erinnere mich nicht.
Die beiden Bierzelte interessierten mich als Kind überhaupt nicht: Rumsitzen ohne Spielgelegenheit? Langweilig. Meine Erinnerung versucht mir sogar weißzumachen, dass ich kein einziges Mal mit meiner Familie dort eingekehrt wäre. Am Sonntagvormittag fanden in einem der Zelte reguläre Boxkämpfe statt, zu denen mein Vater oft ging (und von denen er mit üblem Atem sowie eine Tüte gebrannter Mandeln schwingend zurück kam). Diese Boxkämpfe gibt es heute wohl nicht mehr, zumindest steht keiner im Programm des diesjährigen Herbstfestes.
Zu Essen gab es auf dem Volksfest Kas (Emmentaler vom ganzen Laib gehobelt), Fisch- und Lachssemmeln (für meine Mutter mit extra viel Zwiebel), gebrannte Mandeln, selten Magenbrot, Zuckerwatte, glasierte Früchte. An letztere erinnerte ich mich letzten Sonntag auf dem Oktoberfest vor allem wegen ihrer Abwesenheit: Mit flüssigem Zucker glasierte Früchte sind schon lange durch Schokoladen-überzogenes Obst ersetzt. Seinerzeit hatte ich mich über den Wechsel gefreut – Zucker schmeckt halt nach nichts, und vor allem die verlockenden Liebesäpfel stellten sich dann doch immer wieder als schlichte Äpfel heraus, unter ein wenig rotem Zucker versteckt. Doch am Sonntag vermisste ich die glasierten Früchte meiner Kindheit. Ich suchte gezielt und mit Erfolg: An einem Schokofrüchtestand bekam ich einen wirklich bunt gemischten Obstspieß mit einer Zuckerkruste – allein der Geruch transportierte mich zurück in Kindertage.
Pommes frites tauchten erst zu meiner Teenagerzeit im Angebot des Volksfestes auf (bei mir daheim sagte man keineswegs Pommes dazu), dann aber meiner Erinnerung nach gleich in der gewellten Pressform und mit Ketchup. Die Erwachsenen waren angemessen dagegen.
Das war bereits das Alter, in dem ich allein mit Freundinnen aufs Volksfest durfte – sehr aufregend. Dirndlartiges wurde ja bis vor wenigen Jahren mitnichten mit Volksfesten verbunden, und so kleidete ich mich für dieses erste Ausgehen zwar sorgfältig, aber ganz sicher in nichts, was meine Mutter ausgesucht hätte. Sondern in Jeans. Solche habe ich ja erst sehr spät erbettelt, gegen den massiven Widerstand meiner Mutter, die mich auf keinen Fall so wie alle anderen in meiner Altersgruppe gekleidet sehen wollte. Das Volksfest war eine Gelegenheit, mit dieser Errungenschaft zu punkten. Dazu ein Minitäschchen mit langem Riemen quer über dem Oberkörper (auch das war in den frühen 80ern, um die es hier geht, gerade erst erfunden worden).
So ausgestattet stand ich mit meinen Freundinnen am Autoscooter herum und schielte zum Jungsvolk. Unter dem natürlich keineswegs der angeschwärmte Markus aus der C-Klasse war, auf dessen Anwesenheit ich wider besseres Wissen (er wohnte in einem nur durch eine lange Busfahrt zu erreichenden Vorort) gehofft hatte. Auch in diesem Alter übten Bierzelte auf mich keinerlei Anziehung aus.
Mein Interesse an Volksfesten erlosch noch im späten Teenageralter, als die häufigste Geselligkeit das Herumsitzen mit Freunden bei Tee, Musik und Räucherstäbchen wurde.